Viel mehr als Impfstoff und Corona-Test

Biotechnologie im Fokus

Dr. Viola Bronsema, BIO Deutschland e. V.
Dr. Viola Bronsema, BIO Deutschland e. V.

Bildnachweis: © BIO Deutschland e. V..

Die Biotechnologie-Branche in Deutschland ist gut aufgestellt und in der Pandemie gewachsen. Dennoch bleibt viel Potenzial ungenutzt, bis die Politik die richtigen Weichen stellt.

Seit die ersten Unternehmen in den achtziger Jahren die Bühne betraten, ist die deutsche Biotechnologie-Branche meist kontinuierlich, aber langsam gewachsen. Rückschläge erlitt die Branche, wie viele andere auch, durch das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und auch die Finanzkrise 2008 hat Spuren hinterlassen. Betrachtet man die wichtigsten Branchenkennzahlen über den Zeitraum der letzten fünf Jahre, zeigt sich für Umsatz von 2016 bis 2019 ein Wachstum von durchschnittlich acht Prozent pro Jahr, gefolgt von einem Sprung von 36 Prozent 2020. Bei Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) war lange Zeit wenig Bewegung zu sehen, obwohl die Biotechnologie-Branche als eine der forschungsintensivsten gilt. Auch hier gibt es, allerdings in den letzten zwei Jahren, deutlichen Zuwachs, besonders drastisch mit 37 Prozent im ersten Jahr der Pandemie. Die Mitarbeiterzahl wächst um durchschnittlich elf Prozent, während die Zahl der Unternehmen stagniert. Die Gründungsdynamik in der Biotech-Branche ist derzeit zu gering. Erfolgsbeispiele wie BioNTech ändern das hoffentlich. Die Branchenkennzahlen für das Jahr 2021 werden in Kürze erhoben. Es ist davon auszugehen, dass der positive Trend bei Umsatz und FuE für das zweite Jahr der Pandemie bestehen bleibt, wenn auch vielleicht nicht mehr so stark.

Rekorde bei der Finanzierung

Nach vielen Jahren mit geringem Wachstum ist die Eigenkapital-Finanzierung der Branche 2020 auf einen neuen Rekord geklettert. Von mageren 858 Mio. Euro 2019 auf rund 3 Mrd. Euro. Wesentlicher Treiber waren hier große Finanzierungsrunden der deutschen Impfstoffentwickler BioNTech und CureVac, welche rund die Hälfte der Gesamtsumme einwerben konnten. Im Jahr 2021 wurde die Höchstmarke vom Vorjahr zwar nicht mehr erreicht, aber mit 2,3 Mrd. Euro doch die zweitbeste Summe aller Zeiten erzielt, wieder durch sehr große Finanzierungen weniger Unternehmen befeuert. Trotz dieser beeindruckenden Steigerung ist noch viel Luft nach oben. Es ist nach wie vor schwierig, ausreichend Kapital für die Wachstumsphase von Biotech-Unternehmen in Deutschland einzuwerben. Der Zukunftsfonds, der schon in der letzten Legislaturperiode ins Leben gerufen wurde, soll hier Abhilfe schaffen. Noch ist aber nicht klar, ob er den nötigen Schub für die Biotech-Finanzierung erbringen kann. 

Pandemie als Game Changer – Game Changer in der Pandemie

Die Biotechnologie-Branche in Deutschland hat in den letzten zwei Jahren der Pandemie eine Art Revolution erlebt. Nach vielen Jahren eines – zu Unrecht – relativ unbeachteten Daseins, richteten sich plötzlich alle Augen – zu Recht – auf die Entwickler und Hersteller von Corona-Tests sowie Impfstoffen und antiviralen Wirkstoffen. Und die Unternehmen haben geliefert. Die „BioNTech-Story“ ist jetzt schon eine vielzitierte Gründungs- und Biotech-Legende. Aber es gab auch Unternehmen, die in der Pandemie in schwieriges Fahrwasser gelangt sind, aus bekannten Gründen, die vielen Unternehmen zu schaffen gemacht haben. Gestörte Lieferketten, fehlende Kinderbetreuung, „home office“, verschobenen klinische Prüfungen u. v. m.

Schlüsseltechnologie für viele Lebensbereiche

Die Biotech-Branche hat allerdings noch viel mehr zu bieten als Corona-Tests oder -Impfstoffe. Die innovativen Unternehmen forschen an wirkmächtigen Krebs-Therapeutika, Medikamenten zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen sowie an nachhaltigen Produktionsprozessen für die Industrie und nachhaltig erzeugten Produkten wie Biokraftstoffen, Verpackungsmaterialien oder Lebensmitteln. Zwar ist die Bedeutung der Industrie für die Eindämmung der Corona-Pandemie weitgehend in den Köpfen angekommen. Aber das große Potenzial der Schlüsseltechnologie Biotechnologie, um vielen der aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel und Ernährungssicherheit zu begegnen, ist weitgehend noch unbekannt. Was in Fachkreisen unter Bioökonomie zusammengefasst wird, die Umwandlung der fossil-basierten Wirtschaft in eine bio-basierte nachhaltige Kreislaufwirtschaft, ist immer noch wenigen ein Begriff. Die Biotechnologie ist Grundlage für diese Transformation, die immer wichtiger wird. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels, der eine Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordert, und der durch den Ukraine-Krieg noch verschärften Notwendigkeit, unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden, ist eine Förderung der Biotechnologie unabdingbar. 

Biotechnologie als Chefsache

Die Biotechnologie wird deshalb zunehmend zur Chefsache erklärt. Sie gehört auf die Tagesordnung der Politik, und ein breiter öffentlicher Dialog über diese Schlüsseltechnologie sollte zudem jetzt gestartet werden. Die Regierung will den deutschen Biotech-Standort stärken. In der Pandemie wurde sichtbar, wie abhängig Europa von weit entfernten Produktionsstandorten ist. Es sollte nun alles daran gesetzt werden, die Produktion hochwertiger biologischer Arzneimittel am Standort zu halten und auszubauen. Außerdem müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es den Unternehmen ermöglichen, hier in Deutschland und Europa ausreichend Kapital für Forschung und Entwicklung und das Scale-up und Kommerzialisierung einzuwerben. 

Über die Autorin:
Dr. Viola Bronsema ist seit 2006 Geschäftsführerin des BIO Deutschland e. V. Davor war sie in Leitungsfunktionen in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit u. a. bei Roche Diagnostics und Eli Lilly tätig.