Lieferdienste: Reinigendes Marktgewitter

Norma Mortenson, Pexels
Norma Mortenson, Pexels

Bildnachweis: Pexels.

Bei vielen Online-Lieferdiensten läuft es nach den Boomjahren der Pandemie inzwischen alles andere als rund. Doch die Pleite oder Schieflage der einen könnte die Chance der anderen werden – und damit auch Investoren neue Einstiegsmöglichkeiten eröffnen.

Aus dem Stadtbild vieler deutscher Metropolen sind die Fahrerinnen und Fahrer mit ihren E-
Bikes und den bunten Jacken weitgehend wieder verschwunden. Sichtbarstes Anzeichen
dafür, dass die große Zeit der Lieferdienste aus Pandemietagen vorbei sein könnte. 2021 und 2022 bestellten die Menschen in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln oder München noch massenhaft Sushi, Pizza oder Nudelgerichte aus dem virusfreien eigenen Wohnzimmer heraus oder ließen sich Milch, Joghurts, Brot oder Toilettenpapier von den Lieferdiensten nach Hause bringen.

Expansives Wachstum ist zum Erliegen gekommen

Heute, im Jahr 2023 und nach der Pandemie, sieht die Lage ganz anders aus. Die Menschen gehen wieder vermehrt raus, kaufen selbst ein. Kurzum: Das Geschäftsmodell der Lieferdienste stößt nach Jahren des expansiven Wachstums an seine Grenzen.

Doch es gilt, wie immer, genauer hinzuschauen: Die Lieferdienste sind nicht tot. Nur
bestimmte Geschäftsmodelle, die auf den schnellen Euro aus waren und Fahrerinnen und
Fahrer zudem oft in prekäre Beschäftigungsverhältnisse drängten, sind stark angegriffen. Vor allem die kometenhaften Aufsteiger Flink und Gorillas schreiben seit Monaten Negativschlagzeilen.

Getir, Gorillas und Flink unter Dauerbeschuss

So berichtete das „Manager Magazin“ im Frühjahr, dass Flink binnen Jahresfrist seine
Belegschaft von 21.000 auf knapp 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschrumpft
hätte. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der Lieferdienst Getir den Berliner
Konkurrenten Gorillas übernommen. Eine krisenhafte Firmenehe, wie sich jetzt herausstellt: Vor wenigen Tagen verkündete Getir ein massives Sparprogramm. Das Unternehmen streicht Tausende Stellen und zieht sich aus 17 von 23 deutschen Städten zurück.

Doch es ist so, wie es immer ist in einer Marktwirtschaft: Die Krise der einen könnte die
Chance der anderen darstellen. So verkündete der Discounter Aldi Süd jetzt, mit einem
eigenen Lieferservice an den Start zu gehen – wenn auch nur testweise und zunächst
begrenzt auf den Firmensitz Mülheim an der Ruhr sowie die zwei Nachbarstädte Duisburg
und Oberhausen. Der Mindestbestellwert beträgt 20 Euro. Die Liefergebühr von 4,50 Euro
entfällt bei Aldi Süd, wenn der Einkauf 50 Euro oder mehr beträgt. Geliefert wird innerhalb
eines bestimmten Lieferfensters am Folgetag der Bestellung.

Eine echte Weiterentwicklung des Geschäftsmodells von Flink oder Gorillas stellt das Konzept von Aldi Süd aber noch nicht da. Doch es gibt bereits revolutionäre Konzepte, die
das Lieferwesen auf eine neue Stufe stellen könnten und zudem Investoren eine Einstiegs-möglichkeit bieten können. Allen voran ist hier das Crowdshipping zu nennen. Im Kern geht es dabei darum, eine breite Masse – die „Crowd“ – für das Ausliefern zu nutzen. Nachbarn beliefern Nachbarn – und nicht länger fremde Fahrerinnen und Fahrer, die ungeschützt bei Regen und Nässe auf ihren Rädern verbringen müssen und obendrein mies entlohnt werden.

Shopopops Crowdshipping könnte die Revolution des Lieferns werden

Das aus Frankreich stammende Startup Shopopop hat den ersten kooperativen Lieferdienst in Europa gegründet: Menschen aus dem eigenen Stadtteil oder gar dem eigenen Mehrparteienhaus bringen dabei die gewünschten Waren zu den Käuferinnen und Käufer – ein kurzer Schlenker zum Supermarkt oder zur Drogerie auf dem ohnehin nötigen Heimweg etwa vom Büro reicht dafür. Von dieser innovativen Art des Lieferdienstes profitieren alle: die Händlerinnen und Händler, die Kundinnen und Kunden und die Zulieferinnen und Zulieferer, die sich ein paar Euro hinzuverdienen.

Mit Shopopop werden Lieferungen nicht nur persönlicher, sondern auch nachhaltiger. Zwar
sind viele der Fahrerinnen und Fahrer in ihren Autos unterwegs und nicht per (E-)Bike. Doch sie wären das als Büropendler ohnehin. Wenn sie dann jedoch auf dem Rückweg vom Büro schnell beim Supermarkt die vorab online georderten Waren für ihre Nachbarn abholen, in den Kofferraum packen und dann mitbringen, entfällt die eigene Fahrt der Käufer in den Supermarkt. Unter dem Strich reduziert das massiv den innerstädtischen Verkehr und stellt eine ebenso pfiffige wie klimaeffiziente Lösung für die „Last Mile“ dar. Fazit: Der Lieferdienst ist nicht tot. Er erfindet sich nur gerade neu.