Das neue Normal

Wachstumsfinanzierungen – Status Quo und Aussichten

Monika Steger (Bayern Kapital), Dr. Wolfgang Hanrieder (ScaleUp-Fonds Bayern), Dominic Faber (KKA Partners), Christian Schatz (FGS), Christian Futterlieb (VR Equitypartner)
Monika Steger (Bayern Kapital), Dr. Wolfgang Hanrieder (ScaleUp-Fonds Bayern), Dominic Faber (KKA Partners), Christian Schatz (FGS), Christian Futterlieb (VR Equitypartner)

Bildnachweis: FGS, VR Equitypartner, Bayern Kapital, KKA Partners, ScaleUp-Fonds Bayern.

Es liegt in der Natur des Hypes, dass er vorübergeht. So gesehen ist die aktuelle Abkehr des deutschen Start-up-Ökosystems von den Übertreibungen des Rekordjahres 2021 keine Überraschung. Das neue Normal: Wagniskapitalgeber agieren vorsichtiger, Prozesse dauern länger, ausländisches Kapital fehlt und große Scale-up-Runden sind seltener. Nur die zukunftsträchtigsten Technologien und Geschäftsmodelle wachstumsorientierter Start-ups ziehen aktuell Investorengelder an.

Die Risikokapitalsumme für Start-ups in Deutschland hat sich im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum nahezu halbiert, so das jüngste Startup-Barometer des Prüfungs- und Beratungshauses Ernst & Young (EY). Demnach konnten nur noch 3,1 Mrd. EUR eingesammelt werden, weil insbesondere wenige große Venture Capital-Deals jenseits der 100 Mio. EUR geschlossen wurden. Halbiert haben sich auch die Abschlüsse im Volumen von 50 Mio. bis 100 Mio. EUR. Zwar zeigen sich am Markt Stabilisierungstendenzen, sowohl bei der Anzahl als auch beim Wert der Investitionen. Trotzdem sieht sich das Start-up-Ökosystem einer deutlich gesunkenen Finanzierungsbereitschaft gegenüber. „Es ist eine simple Chance-Risiko-Abwägung: Das hohe Zinsniveau, der Inflationsdruck, die schwache Konjunkturentwicklung und die großen geopolitischen Risiken locken Geld aktuell nicht im großen Stil in Venture Capital für deutsche Start-ups. Risiken werden vermieden, Geld wird geparkt. Es ist sogar wieder attraktiv, Staatsanleihen im Portfolio zu halten“, erklärt Christian Schatz, der als Partner und Rechtsanwalt der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg deutsche und internationale Initiatoren in Venture Capital, Private Equity und anderen Anlageformen berät. „Gute Dealaktivität sehen wir noch in Private Equity, das zum Beispiel komplementäre Unternehmen aufkauft. Im Venture Capital-Segment sind die Geldgeber aktuell eher zurückhaltend. Die spannendste Frage wird in der nächsten Zeit sein, wie sich die Exit-Situation entwickelt.“

Finanzierungslücke bremst Scale-ups aus

Auch die internationalen Investoren haben reagiert, sich teils in die Heimatmärkte zurückgezogen oder Weltregionen mit attraktiveren volkswirtschaftlichen Parametern fokussiert. So waren beispielsweise nordamerikanische Investoren laut dem Analysedienst PitchBook im ersten Halbjahr 2023 nur an 24% der Venture Capital-Transaktionen im Euroraum beteiligt – der niedrigste Anteil seit 2020. Schatz: „Fundraising-Prozesse dauern deutlich länger als vor zwei Jahren. Fundraising-Ziele müssen teilweise nach unten korrigiert werden, wenn überhaupt ein Closing möglich ist. Speziell First-Time-Funds, die noch nicht über eine Investorenbasis verfügen, haben es schwer.“ Diese Finanzierungslücke setze sich am Markt fort und sei insbesondere für Jungunternehmen in der kapitalintensiven Wachstumsphase spürbar. Schatz: „Sehr gute Finanzierungsrunden fahren in diesem Segment aktuell nur Unternehmen mit bereits erreichtem Einhornstatus.“

Growth Equity-Fonds bieten Wachstumsfinanzierung

Wer noch mitten im Wettbewerb steht und gar Verluste zu finanzieren hat, stößt dagegen auf einen eher trockenen Markt. „Hier muss das Ziel sein, operativ den Cashflow-Break-even zu erreichen, um dann mit Zeit Geld für Wachstumsphasen einzuwerben. Das schafft Flexibilität“, rät Dominic Faber, einer der drei Gründungspartner der Private Equity-Gesellschaft KKA Partners, und ergänzt: „Fast alle Firmen werden länger durchfinanziert werden müssen als noch vor zwölf Monaten gedacht.“ In dieser Situation können die Grenzen zwischen Venture Capital und Private Equity verschwimmen: Wer sich als etabliertes Jungunternehmen mit Scale-up-Plänen nicht scheut, Mitsprache- und Liquiditätsrechte einzuräumen, kann sich mit Private Equity oder Growth Equity-Fonds Partner an Bord holen, die auch die existierenden Kapitaltabellen aufräumen können. Aus Private Equity-Sicht ist das interessant, wenn ein Portfoliounternehmen dadurch neue Produkte oder Zukunftstechnologien gewinnt. 230 Mio. EUR hat der KKA Value Fund II auch für solche Transaktionen gerade erfolgreich eingesammelt. Faber: „Zwar ist Geld im Markt vorhanden, trotzdem war auch in unserem Segment das Fundraising zäh: Ob internationaler Staatsfonds oder Family Office – Fondsallokatoren sagen aktuell weniger Commitments und geringere Volumina zu. Lag unsere Konversionsrate 2019 noch bei einem von 100 Gesprächen, brauchte es für die erfolgreiche Anwerbung eines Fondsinvestors zuletzt teilweise bis zu 500 Anfragen. Unser Konzept der Paarung stabiler Cashflows mit organischem Wachstum und Technologisierung plus typischen Private Equity-Aktivitäten rund um Buy and Build hat aber letztlich neben den großen europäischen Multinationals zahlreiche institutionelle US-Investoren überzeugt.“

Makrotrends gelten unabhängig von Konjunkturverlauf

Ähnlich gilt unabhängig vom Reifegrad auch für Start-ups: Wirklich innovative Ideen, zukunftsträchtige Technologien und funktionsfähige Geschäftsmodelle finden trotz der verschlechterten Rahmenbedingungen noch Geldgeber. Besonders gefragt waren bei Investoren im ersten Halbjahr die Bereiche Software and Analytics – hierhin floss laut Startup-Barometer von EY mit 769 Mio. EUR das meiste Geld (gegenüber 1,8 Mrd. EUR im Vorjahreszeitraum) – sowie Energy (677 Mio. EUR gegenüber zuletzt 908 Mio. EUR). E-Commerce-Start-ups erhielten dagegen nur noch Risikokapital in Höhe von 395 Mio. EUR (gegenüber zuletzt 1 Mrd. EUR). „Unabhängig von konjunkturellen Einflüssen sind die digitale Transformation globaler Industrien sowie die Energiewende Trends, die noch Jahre Bestand haben und den spezifischen Märkten anhaltendes Wachstum bescheren werden“, erklärt Christian Futterlieb, Geschäftsführer von VR Equitypartner, die im Feld etablierter Mittelständler Nachfolgen umsetzt, Gesellschafterwechsel und Wachstum finanziert. Sein Credo: Der Markt lässt sich nicht vorhersehen – trotzdem kann man sich in Segmenten positionieren, die nachhaltig Rückenwind haben.

Finanzierungsalternative Mezzanine-Kapital wieder attraktiv

„Mit einem schnellen Absinken des Zinsniveaus rechnen wir nicht. Auch scheint die Grenze erreicht, steigende Kosten auf Kunden abzuwälzen. Margen werden deshalb eher sinken.“ Dennoch sei die Wettbewerbsintensität auch im Small Cap-Bereich eher hoch. VR Equitypartner investiere weiter, so Futterlieb. „Unser Portfolio umfasst aktuell rund 30 mittelständische Unternehmen über alle Branchen hinweg, die sich trotz des makroökonomischen Gegenwinds resilient gezeigt haben. Unser Ziel ist, sie durch passende Add-on-Investitionen im Rahmen von Plattformstrategien in ihrer Marktposition zu stärken und weiter in gute Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung, Energieeffizienz und Automatisierung zu investieren.“ Dabei komme auch Mezzanine-Kapital zum Einsatz, nicht nur reines Eigenkapital. „In den letzten Jahren war Fremdkapital sehr günstig und gut verfügbar, Nachrangkapital ohne Sicherheiten deshalb für viele nicht attraktiv. Das ändert sich aktuell, was insbesondere für familiengeführte Unternehmen spannend ist: So lässt sich Wachstum finanzieren, ohne neue Gesellschafter reinnehmen zu müssen.“

Rückkehr zur Normalität wird begrüsst

Die reine Venture Capital-Sicht liefert Monika Steger, Co-Geschäftsführerin bei Bayern Kapital, der Venture/Growth Capital-Gesellschaft des Freistaats Bayern: „Die Zeiten, wo bei einigen Investoren zwischen Erstkontakt und Auszahlung kaum ein Monat lag, sind eindeutig vorbei. Prozesse dauern wieder länger, B2CGeschäfte mit hoher Burn Rate sind out, Kapitaleffizienz ist in. Start-ups über alle Phasen hinweg werden kritischer durchleuchtet und zurückhaltender bewertet. Wir begrüßen diese Rückkehr zur Normalität.“ Das meist regional verankerte Ökosystem Seed/Early Stage habe dadurch nicht gelitten. Je weiter entwickelt ein Start-up aber sei, desto spürbarer sei der Einfluss internationaler Investoren. „Die durch die zahlreichen Marktunsicherheiten ausgelöste Zurückhaltung der Wagniskapitalgeber betrifft insbesondere das Wachstumssegment, das traditionell in Deutschland unterfinanziert ist. Große Scale-up-Runden gab es hierzulande unter anderem durch Firmen wie Tiger Global, Mubadala oder Temasek. Nach deren völligem Rückzug fällt umso stärker ins Gewicht, dass es in Deutschland beziehungsweise Europa zu wenig eigene und große Player gibt. Hier müssen wir unser Ökosystem weiterentwickeln“, so Steger weiter.

Investoren fokussieren Profitabilität

Immerhin kommen inzwischen auch wieder positive Nachrichten, wie zuletzt das erfolgreiche Fundraising des Frankfurter Growth-Investors Yttrium über 403 Mio. EUR. Auch finden vereinzelt Scale-up-Runden statt, etwa kürzlich für Tado auf dem Weg zum Marktführer im Bereich Energiemanagement in Haushalten oder das Spacetech Isar Aerospace, das sich aktuell im in Europa noch wenig erschlossenen Markt der Microlauncher etabliert. „Investoren wollen sehen, dass sich das Start-up international kommerziell oder technologisch als internationaler Category Leader durchsetzen kann“, erklärt Dr. Wolfgang Hanrieder, Fundrepresentative bei Bayern Kapital für den 200 Mio. starken ScaleUp-Fonds Bayern, der an beiden Transaktionen als wesentlicher Co-Investor beteiligt war. Seine Überzeugung: „Das Investmentumfeld im obersten Segment wird noch eine Weile von Unsicherheiten geprägt sein. Von den Late Stage-Unternehmen in unserem Portfolio und dem aktuellen Dealflow wissen wir jedoch: Viele Start-ups haben sich bereits an das neue Normal angepasst. Sie nutzen die Zeit, ihre Geschäftsmodelle wetterfest zu machen und den Weg zu Profitabilität klarer aufzuzeigen. So werden sie attraktiver, um im Wachstumsbereich erfolgreich Mittel einzuwerben. Wir bleiben deshalb vorsichtig optimistisch, dass die Branche insgesamt gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen wird!“