„Europäisches Venture Capital steht immer stärker auf der Agenda“

Interview mit Dr. Jörg Goschin, KfW Capital

Dr. Jörg Goschin, KfW Capital
Dr. Jörg Goschin, KfW Capital

Bildnachweis: KfW Capital.

Seit fünf Jahren unterstützt KfW Capital das deutsche Venture Capital-Ökosystem
– zuletzt mit einem 1 Mrd. EUR schweren Wachstumsfonds.

VC Magazin: KfW Capital besteht seit mittlerweile fünf Jahren. Wie hat sich der Venture Capital-Markt in dieser Zeit verändert?

Goschin: Wir sehen eine immer stärkere Professionalisierung des Markts, und zwar auf allen Ebenen: aufseiten der Start-ups wie aufseiten der Wagniskapitalfonds. Vor 15 Jahren beispielsweise gab es überwiegend breit investierende Fonds, die von ICT bis Life Sciences branchenübergreifend unterwegs waren. Heute sind die Investoren auf einen Sektor oder sogar auf nur ein Anwendungsgebiet fokussiert. Je stärker sich in Märkten eine solche Spezialisierung herausbildet, umso professioneller ist der Markt – daher ist meine Einschätzung der hiesigen Venture Capital-Szene sehr positiv.

VC Magazin: Wie würden Sie Ihren Einfluss auf das Ökosystem einschätzen?

Goschin: Unser Ziel von Anfang an war es, das Venture Capital-Ökosystem zu stärken.
Dem werden wir gerecht, meine ich. In der Pandemiezeit konnten wir den Bund und den
Wagniskapitalmarkt mit den Start-up-Hilfen und der Corona-Matching-Fazilität unterstützen. Anschließend haben wir gemeinsam mit dem Bund die Bausteine des Zukunftsfonds
entworfen, koordiniert und umgesetzt. Bereits heute stehen mehr als 10 Mrd. EUR
zum Abruf für Fonds und Start-ups bereit. Das alles waren große Meilensteine in kurzer Zeit!
Außerdem sind wir in einer Zeit gestartet, als ESG im Venture Capital-Markt noch kaum
eine Rolle gespielt hat, und gehörten zu denjenigen, die das bedeutsame Thema aktiv in diesem verankert haben.

VC Magazin: Welche Chancen, aber auch Herausforderungen bringen ESG und Nachhaltigkeit der deutschen Start-up-Szene?

Goschin: Eine Nachhaltigkeitsstrategie als Start-up oder als Wagniskapitalfonds zu entwickeln bedeutet sicherlich erst einmal einen Mehraufwand, ist aber unerlässlich und bietet Chancen. Wir können die Fonds bei der Erstellung ihrer ESG-Policy und der Identifikation relevanter ESG-Risiken unterstützen. Außerdem richten wir seit zwei Jahren gemeinsam mit der BMW-Foundation Herbert Quandt und VentureESG Trainings für Venture Capital-Fonds aus; das Interesse daran ist sehr groß. Die deutschen und europäischen Venture Capital-Gesellschaften haben die Chance, sich hier positiv von Playern anderer Regionen abzuheben. Und das bringt Vorteile beim Fundraising, denn die institutionellen Investoren achten zunehmend stärker auf ESG. Zudem bin ich überzeugt, dass diese Fonds auch Investments tätigen, die langfristig resilienter und damit auch erfolgreicher sind.

VC Magazin: Wie groß ist Ihr Team mittlerweile und wie viele Investments haben Sie bisher getätigt?

Goschin: Im Jahr 2018 sind wir mit circa 20 gestartet und stehen heute bei rund 70 Mitarbeitenden. In diesem Jahr werden wir die 100er-Marke wohl überschreiten, um unseren gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Wir haben bislang in mehr als 110 Venture Capital-Fonds investiert und dabei mehr als 2,1 Mrd. EUR committet. Im vergangenen Jahr haben wir außerdem zwei Spezialfazilitäten aufgesetzt: die Emerging Manager Facility, mit der wir in kleinere, divers aufgestellte Fonds investieren, und die Green Transition Facility, die sich auf Climatetech-Investments in Wagniskapitalfonds fokussiert. Darüber hinaus sind wir als Marktentwickler aktiv: Wir veranstalten beispielsweise im dritten Jahr unsere KfW Capital VC-Academy und zeichnen mit dem KfW Capital Award herausragende Investoren in diesem Bereich aus. Damit verfolgen wir das Ziel, wichtige Zukunftsthemen im Venture Capital-Markt besonders herauszustellen.

VC Magazin: Wie bewerten Sie den Markt aktuell?

Goschin: Seit unserem Start 2018 erlebten wir einen Aufwärtstrend und in den Folgejahren
einen starken Boost, insbesondere im Life Sciences- und auch im ICT-Sektor. In den Jahren 2020/21 gab es ein All-Time-High. Mit dem Ukrainekrieg kam ein Einbruch, viele US-Investoren haben sich aus dem Venture Capital-Markt zurückgezogen; umso wichtiger ist die Rolle von KfW Capital geworden, um den Markt zu stabilisieren. Wir investieren – und das ist unser Leistungsversprechen an den Markt – in konjunkturell guten wie herausfordernden Jahren. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist der Wagniskapitalmarkt von robustem Wachstum geprägt.

VC Magazin: Welche Branchen liegen momentan besonders im Trend?

Goschin: Künstliche Intelligenz ist über alle Branchen hinweg relevant und wird voraussichtlich an Bedeutung gewinnen. Zudem gibt es Sektorthemen wie Food- oder Agrartech mit vielen Neugründungen in den letzten Jahren, auch Healthcare und Life Sciences sind weiter stark und profitieren sicher noch immer vom Coronaschub. Außerdem stehen Klimatechnologien im Fokus, denn hier benötigen wir dringend große Lösungen für unser aller Zukunft.

VC Magazin: Wie bewerten Sie die derzeitige Fundraising-Situation für Manager deutscher Venture Capital-Fonds?

Goschin: Das Fundraising-Umfeld ist aktuell herausfordernd, denn viele internationale
Investoren haben sich aus Europa zurückgezogen oder investieren kein frisches Kapital, sondern bestenfalls nur noch aus Rückflüssen. Dies begrenzt den Markt deutlich. Hinzu kommt der sogenannte Denominator-Effekt, der institutionelle Investoren dazu zwingt, Private Market-Anlagen zu reduzieren, wenn das Portfolio im Liquiden über bestimmte Schwellen hinaus an Wert verliert. Dies verschärft die Situation weiter. Besonders schwer haben es zudem kleinere Fonds oder First-Time-Fonds, da neben dem Team vor allem der Track Record im Fundraising das überzeugende Argument ist.

VC Magazin: Der Wachstumsfonds Deutschland konnte 1 Mrd. EUR von institutionellen Investoren einsammeln. Welche Wahrnehmung spüren Sie bei diesen Investoren für deutsches Venture Capital?

Goschin: Unser Ziel war es, vor allem die großen Kapitalsammelstellen für die Assetklasse
Venture Capital zu gewinnen. Einige unserer Investoren haben mit uns das erste Mal in Venture Capital investiert. Andere haben Investments, die sonst in Venture Capital in die USA
geflossen wären, zugunsten von europäischem Venture Capital allokiert. Wieder andere haben
einen Asset Shift zugunsten des Wachstumsfonds Deutschland vorgenommen – und
zum Beispiel Assets aus dem Fixed Income-Bereich investiert. Wir freuen uns sehr darüber,
mit dem Wachstumsfonds zusätzliches privates Kapital für das europäische Venture Capital-Ökosystem mobilisieren zu können. Rund zwei Drittel des gesamten Fondsvolumens von 1 Mrd. EUR stammen von professionellen Investoren aus dem privaten Sektor.

VC Magazin: Wie sehen die nächsten Schritte des Wachstumsfonds aus?

Goschin: Im November 2023 haben wir das Final Closing erreicht. Das First Closing war bereits im Dezember 2022, seitdem investieren wir aus dem Wachstumsfonds. Bislang hat sich der Fonds bereits an 18 Venture Capital-Fonds mit einem Volumen von knapp 300 Mio. EUR beteiligt. Wir haben keinen Branchenfokus und investieren in die aus Risiko-Rendite-Sicht am besten performenden Wagniskapitalfonds. Dabei verfolgen wir das Ziel, den Markt als Ganzes abzubilden, um auch eine breite Diversifikation zu erzielen. Unsere Zielfonds sind in der Regel in Europa domiziliert – wir können aber auch bis zu 20% in außereuropäische Fonds investieren, sofern diese den Schwerpunkt ihrer Anlagestrategie auf Europa ausgerichtet haben.

VC Magazin: Welche Ziele und Meilensteine haben Sie sich für die nächsten fünf Jahre gesetzt?

Goschin: Wir werden den Venture Capital-Markt weiter entwickeln und dort unterstützen, wo Marktschwächen vorliegen. Wir wollen weiter signifikant privates Kapital für die Assetklasse Venture Capital gewinnen, denn eines ist klar: Um die digitale und nachhaltige Transformation zu einem Erfolg zu führen, benötigen wir Start-ups und innovative Technologieunternehmen, die ausreichend Kapital für ihre Entwicklungen finden. Dies kann nur durch ein intelligentes Miteinander von staatlichem und privatem Kapital funktionieren. Außerdem werden wir weiter Unterstützer und Berater der Politik sein: Mit den Ressorts des Wirtschafts- und Finanzministeriums haben wir einen sehr guten beidseitigen Austausch. Last, but not least: Wir werden auch als Venture Capital-Marktentwickler weiter aktiv sein – und als solcher wichtige Themen wie ESG, Diversity/Gender oder Impact in diesem Markt vorantreiben.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Zum Interviewpartner:

Dr. Jörg Goschin ist Geschäftsführer von KfW Capital. Der promovierte Wirtschaftsingenieur ist selbst Gründer und erfahrener Investment Professional.