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Die Reaktion von Anwälten auf KI ist vergleichbar mit der Reaktion der deutschen Autoindustrie auf Elektromobilität: Man redet sich die Welt schön und droht den Anschluss zu verpassen. Der Erfolg der Vergangenheit macht auch Anwälte oft blind für existenzielle Gefahren für ihr bisheriges Geschäftsmodell.
Häufig hört man von Rechtsanwälten: KI wird uns effizienter machen – und wir können uns dann endlich auf die Sachen konzentrieren, die uns und den Mandanten wirklich wichtig sind. Nicht KI wird uns killen, sondern der Anwalt, der KI nutzt, wenn wir das nicht tun. Eine disruptive Gefahr durch KI wird aber in der Regel verneint.
Von Billable Hour zu Value-Based Pricing?
Bereits mit der Effizienzsteigerung ist das aber so eine Sache. Vergangene Woche berichtete mir der Geschäftsführer eines erfolgreichen Berliner Venture Capital-Fonds, dass sein Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten seine Ausgaben für rechtliche Beratung um 50% gesenkt habe, dank KI. Bereits heute sind die durch KI und Legaltech insbesondere im Bereich der Dokumentenerstellung erzielbaren Effizienzsteigerungen enorm. Und je effizienter der Anwalt arbeitet, desto weniger abrechenbare Stunden bleiben. Effizienzgewinne landen also notwendig in der Tasche des Mandanten. Wenig Trost liefert hier auch der Hinweis darauf, dann sei eben eine Abkehr von der Billable Hour als Grundlage der anwaltlichen Abrechnung notwendig, und man müsse sich dann eben Value-Based Pricing zuwenden. Das ist einfacher gesagt als getan. Das ganze Ausmaß des Problems wird nämlich deutlich, wenn man die Perspektive der Diskussion wechselt und nicht fragt: „Was bedeuten Legaltech und KI für Anwälte?“, sondern: „Was bedeuten sie für den Rechtsanwender, also für den Mandanten?“ Der nämlich wird sich in Zukunft nicht nur fragen, ob die Vergütung seines Anwalts angemessen ist, sondern seine Frage wird sein: „Brauche ich überhaupt noch einen Anwalt?“ Die größte Gefahr für Anwälte geht insofern von dem mit KI-Tools bewaffneten Mandanten vom Schlage des Berliner Venture Capital-Unternehmers aus.
Studien zeigen starke Auswirkungen von KI
Uns Anwälten sollten daher Studien zu denken geben, die sich den Auswirkungen von KI auf Industriesektoren widmen. Tänzer und Steinmetze haben insofern offenbar am wenigsten zu befürchten. Unisono zählen diese Studien aber die Rechtsberatungsbranche zu denjenigen Branchen, die durch KI am stärksten betroffen sein werden. Gegenwärtig mag KI zwar noch nicht in der Lage sein, jenseits der Dokumentenanalyse und Dokumentenerstellung Rechtsfragen mit hinreichender Sicherheit zu beantworten. Angesichts der exponentiellen
Leistungssteigerung von KI wird das aber in absehbarer Zukunft der Fall sein. Spätestens dann reden wir nicht mehr nur über Effizienzsteigerung, sondern über echte Disruption. Sicher werden Rechtsanwälte allenfalls da sein, wo sie mit Tänzern vergleichbar sind, wo ihre Tätigkeit also durch klassisch menschliche Fähigkeiten geprägt ist, die man keinesfalls durch KI ersetzen kann: da, wo es etwa auf Verhandlungsgeschick ankommt oder ein Trusted Advisor in schwierigen Situationen gebraucht wird. Großer Trost kann allein das allerdings nicht sein. Anwälte können ihre Stundensätze für diese Art der Tätigkeit nämlich kaum um den Faktor erhöhen, der nötig wäre, um das durch Digitalisierung wegfallende Geschäft zu kompensieren. Stattdessen müssen Anwälte möglichst schnell ihre Rolle mit und neben KI neu definieren.
Ausblick
Wenn sie das tun, aber auch nur dann, gibt es durchaus Hoffnung. Anwälte werden nicht nur als Verifizierungsinstanz für mittels KI gefundene Lösungen und als Haftungsadressaten dafür, falls einmal etwas rechtlich schiefgeht, auch in Zukunft noch gebraucht werden – sondern ihnen stehen durch KI auch bislang ungeahnte Möglichkeiten der Skalierung ihres Geschäfts offen. So können sie sich mittels eines softwarebasierten Einstiegs in das Mandat in Zukunft möglicherweise ganz neue Mandantengruppen erschließen.
Über den Autor:
Dr. Matthias Birkholz ist Gründungspartner und Co-Managing Partner der Berliner Rechtsanwaltssozietät lindenpartners. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Gesellschaftsrecht/
M&A und Litigation. Besonders am Herzen liegt ihm das Thema „Law Firm for Future“.