Revival in turbulenten Zeiten

Direct Secondary Investments

Oliver Ferstl & Christian Tönies (Poellath)
Oliver Ferstl & Christian Tönies (Poellath)

Bildnachweis: Poellath, VentureCapital Magazin.

Der Venture Capital-Sekundärmarkt hat sich in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Bestandteil des europäischen Wagniskapitalökosystems entwickelt. Im Gegensatz zum Private Equity-Sekundärmarkt, der bereits seit Jahrzehnten etabliert ist, erfreut sich der Venture Capital-Sekundärmarkt erst seit rund zehn Jahren zunehmender Beliebtheit – befeuert durch das exponentielle Wachstum von Primärinvestitionen in wagniskapitalfinanzierte Unternehmen.

Investitionen im Venture Capital-Sekundärmarkt lassen sich grundsätzlich in zwei Hauptkategorien unterteilen: fondsbezogene Transaktionen („Fund Interest Investments“) und direkte Transaktionen („Direct Secondary Investments“).

Fund Interest Investments

Diese vor allem aus dem Private Equity-Segment bekannten Transaktionen betreffen den Kauf und Verkauf von Beteiligungen an Venture Capital- oder Private Equity-Fonds. Bei sogenannten LP-led-Transaktionen wird der Verkauf von einem oder mehreren Limited Partners (LPs) initiiert. GP-led-Transaktionen hingegen werden durch das Fondsmanagement (General Partners, GPs) angestoßen – häufig im Rahmen von Restrukturierungen oder sogenannten Continuation Funds.

Direct Secondary Investments

Direct Secondary Investments unterscheiden sich von Fund Interest Investments durch den direkten Erwerb von Unternehmensanteilen an wagniskapitalfinanzierten Portfoliounternehmen – zum Beispiel von frühen Investoren, Business Angels, bestehenden Gesellschaftern oder ehemaligen Mitarbeitenden. Investoren erhalten so unmittelbaren Zugang zu einzelnen Unternehmen, ohne auf die Performance eines Fonds oder einen klassischen Exit angewiesen zu sein. Schätzungen aus dem Jahr 2021 zufolge machen Direct Secondary Investments rund 85% bis 90% des gesamten Transaktionsvolumens im Venture Capital-Sekundärmarkt aus. Auch wenn diese Zahlen angesichts der inhärenten Intransparenz des Markts mit Vorsicht zu genießen sind, verdeutlichen sie doch die zunehmende Relevanz dieses Segments.

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Rechtliche und praktische Herausforderungen

Direct Secondary Investments sind mit einer Vielzahl rechtlicher und praktischer Herausforderungen verbunden – vor allem aufgrund der oft komplexen, über mehrere Finanzierungsrunden gewachsenen Kapitalstruktur von wagniskapitalfinanzierten Unternehmen. Die sogenannten Cap Tables enthalten meist eine Vielzahl unterschiedlicher
Beteiligungsformen wie Stammanteile, wandelbare Vorzugsanteile, Wandeldarlehen, Bezugsrechte oder Optionen. Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich wirtschaftlicher Rechte, sondern auch in Bezug auf Liquidationspräferenzen und Exit-Erlös-Verteilungspräferenzen. Eine sorgfältige und tiefgehende Legal Due Diligence ist daher unerlässlich. Käufer müssen die Kapitalstruktur, vertragliche Abreden sowie steuerliche und gesellschaftsrechtliche Implikationen vollständig durchdringen – Fehleinschätzungen können gravierende finanzielle Konsequenzen haben.

Rechtliche Besonderheiten

Neben der Komplexität der Kapitalstruktur gibt es eine Reihe weiterer juristischer Fallstricke:

  • Vertragsstruktur und Zustimmungserfordernisse: In Deutschland bedürfen
    Anteilsübertragungen an GmbHs nach § 15 Abs. 3 GmbHG der notariellen Beurkundung. Hinzu kommt in vielen Fällen die Zustimmung der Mitgesellschafter oder der Gesellschaft selbst, sei es durch den Gesellschaftsvertrag, Gesellschaftervereinbarungen oder Side Letters.
  • Vorkaufsrechte (ROFR): Diese oft in Gesellschaftervereinbarungen geregelten
    Rechte verpflichten Verkäufer, Anteile zunächst anderen Gesellschaftern vorrangig anzubieten. Ihre Ausübung kann die Transaktion behindern, verzögern oder den ursprünglichen Käufer ausschließen.
  • Tag-Along/Mitverkaufsrechte: Mitverkaufsverpflichtungen können direkte Sekundärtransaktionen rechtlich verkomplizieren. Minderheitsgesellschafter müssen seitens des Verkäufers je nach Vertragsstruktur in den Verkauf zumindest pro rata eingebunden werden.
  • Informationsrechte und -pflichten: Käufer haben häufig keinen Zugang zu internen Unternehmensdaten. Die Offenlegungspflichten des Verkäufers sowie etwaige vertragliche Informationsrechte bestimmen daher den Umfang der Due Diligence entscheidend. Wichtig ist, die Gesellschaft frühzeitig in den Prozess einzubinden, um eine Due Diligence für potenzielle Käufer zu ermöglichen.
  • Haftung und Garantien: Verkäufer versuchen regelmäßig, ihre Haftung zu begrenzen. Für die Käuferseite sind Garantien zu Eigentum (Title), Belastungen und rechtlicher Stellung der Anteile entscheidend, um Risiken abzusichern. Geschäftsbetriebsgarantien (Business Warranties) sind jedoch häufig nicht Bestandteil der Transaktionen, meist,
    weil der Verkäufer nicht operativ in den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft eingebunden ist.
  • Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten: Beteiligungsklassen mit unterschiedlichen Rechten (etwa Liquidations- und Exit-Erlös-Verteilungspräferenzen) sowie Wandeldarlehen und ESOPs können Einfluss auf die Bewertung der zum Verkauf stehenden Anteile haben. Wichtig ist, dass die entsprechenden Sonderrechte direkt mit den Anteilen verknüpft sind und nicht individuell dem Verkäufer eingeräumt wurden, somit übertragbar sind.

Marktverlauf in turbulenten Zeiten

Trotz dieser Herausforderungen verzeichnete der Markt für Direct Secondary Investments in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum. Nach dem Tech-Boom des Jahres 2021, begünstigt durch die Pandemie, folgte 2022 eine Phase der Marktkorrektur. Die Bewertungen börsennotierter Technologieunternehmen sanken deutlich – mit spürbaren Auswirkungen auf den Venture Capital-Sekundärmarkt. Die wachsende Bid-Ask-Spanne zwischen Verkäufererwartungen (Höchstbewertungen von 2021) und Käuferangeboten (angepasst an gesunkene Multiples) führte zu einem merklichen Rückgang des Transaktionsvolumens. Gleichzeitig sorgte die Zinswende für steigende Finanzierungskosten und erhöhte Risikosensibilität. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 stabilisierte sich der Markt. Die Bewertungen erreichten einen Tiefpunkt, und Marktteilnehmer passten sich der neuen Realität an. Die Bid-Ask-Spanne verringerte sich, was zu einer spürbaren Belebung des Markts führte. Im Jahr 2024 erlebte der Venture Capital-Sekundärmarkt daher ein deutliches Revival – befeuert durch das enorme Investoreninteresse an generativer KI und sogenannten AI-native-Unternehmen. Ein weiterer Faktor war die anhaltende IPO-Flaute in Europa und Nordamerika. In Ermangelung klassischer Exit-Optionen nutzen Investoren Direct Secondary Markets zunehmend als Liquiditätsventil, da sich Haltefristen verlängern und Unternehmen länger privat bleiben.

Aktuelle Marktentwicklung

Ein deutliches Zeichen für die Renaissance des direkten Sekundärmarkts ist die Zunahme großvolumiger, unternehmensinitiierter Übernahmeangebote im angloamerikanischen und europäischen Raum (zum Beispiel Canva, Stripe, Databricks). Auch in Europa gibt es relevante Transaktionen; so etwa die Transaktion von Vinted, einem Online-Marktplatz für Secondhand-Mode. Unter der Führung von TPG wechselten Anteile im substanziellen Umfang den Besitzer – ein bedeutender Meilenstein für den europäischen Direct Secondary-Markt.

Ausblick

Direct Secondary Investments spielen eine immer wichtigere Rolle in einem Marktumfeld, in dem klassische Exits via IPO oder Trade Sales nur eingeschränkt möglich sind. Unternehmen nutzen diese Struktur gezielt, um Investoren Liquidität zu verschaffen, ohne ihre Kapitalstruktur vollständig umzubauen. Gleichzeitig eröffnet dies strategischen Käufern gezielte Einstiegsmöglichkeiten in Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial.

Fazit

Die Dynamik des Venture Capital-Sekundärmarkts – insbesondere im Bereich der Direct Secondary Investments – dürfte sich weiter verstärken. In einem Umfeld, das nach Flexibilität, Liquidität und struktureller Innovationskraft verlangt, bieten Direct Secondary Investments eine zukunftsträchtige Alternative zu klassischen Exit-Strategien.

Über die Autoren:

Christian Tönies ist Partner in der Kanzlei Poellath in München und ist Co-Leiter des Fachbereichs Venture Capital. Er ist im Markt für seine Venture Capital-Expertise bekannt,
publiziert auch in internationalen Publikationen als Experte in seinem Fachgebiet und ist in Rankings als „leading expert“ genannt.

Oliver Ferstl ist als Volljurist promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenfalls bei Poellath tätig.