Fokus Zukunft oder teures Nebengeschäft?

Status Quo Corporate Venture Capital

Prof. Dr. Helmut Schönenberger (UnternehmerTUM), Jörg Landsch (Deutsche Bank) & Christoph Haß (Possehl Digital)
Prof. Dr. Helmut Schönenberger (UnternehmerTUM), Jörg Landsch (Deutsche Bank) & Christoph Haß (Possehl Digital)

Bildnachweis: UnternehmerTUM, Deutsche Bank, Possehl Digital.

Getrieben von Künstlicher Intelligenz kommt Corporate Venture Capital (CVC) nach einer Delle weltweit wieder in Fahrt. Trotz wirtschaftlicher Probleme halten auch in Deutschland viele Unternehmen an ihren Beteiligungsarmen fest, um den technologischen Anschluss nicht zu verlieren.

Der Autozulieferer ZF sucht für seinen Corporate Venture-Arm ZF Ventures eine neue Heimat – außerhalb des Konzerns. Der Agrar- und Baustoffriese BayWa hat seine firmeneigene Venture Capital-Tochter bereits in die eigenständige Venture-Einheit rEnergy Partners ausgegliedert. Viele, gerade mittelständische CVCs verschwinden klammheimlich vom Markt. Wer will schon gerne öffentlich bekunden, dass für Risikokapital gerade nun wirklich kein Geld zur Verfügung steht. Viele Unternehmen stehen in der aktuellen Wirtschaftslage mit dem Rücken zur Wand. Niemand weiß nach zwei Rezessionsjahren, zahlreichen Strukturproblemen und geopolitischen Unsicherheiten, wann es wieder bergauf gehen wird. Bislang jedenfalls dominieren die Negativnachrichten: Standortschließungen oder Standortverlagerungen ins kostengünstigere Ausland, Stellenabbau. Aber ist es vernünftig, in einer schwierigen Situation ausgerechnet bei Corporate Venture Capital zu sparen? Das hängt wohl von der eigenen Sichtweise ab. Wenn man als Unternehmen Wagniskapitalgeschäfte betreibt, weil es gerade en vogue ist oder weil man sich durch Investitionen kurzfristig den Zugang zu Start-ups mit Know-how verspricht, das das eigene Geschäftsmodell stärkt, mag es sich lohnen, zumindest eine Pause einzulegen; nach dem Motto: Wenn die Zeiten wieder besser werden, steigen wir auch wieder in CVC ein. Bis dahin hat man ja schließlich noch die eigene Forschung und Entwicklung. Wer sein Geschäftsmodell aber langfristig absichern will, der mag vielleicht nicht auf die Chance verzichten, die neue Ideen von jungen Unternehmen bringen. Die Unternehmen stecken also in einem Dilemma. Auf der einen Seite sind sie einem hohen Transformationsdruck ausgesetzt. Es gibt kaum eine Branche, in der das tradierte Geschäftsmodell sicher vor Disruption wäre. Auf der anderen Seite steht der Kostendruck. Wie soll man es denn erklären, dass es vernünftig ist, Millionen für die Finanzierung von Start-ups auszugeben, wenn man gleichzeitig an anderer Stelle harte Einschnitte vornehmen muss? Zumal man bei jungen Firmen nicht sicher sein kann, dass ihre Ideen funktionieren und sich nicht als marktuntauglich herausstellen. Selbst bei den erfolgreichen dauert es oft viele Jahre, bis sich ein Investment auszahlt. Es braucht daher Geduld – und die muss man sich auch leisten können.

CVC dominiert die KI-Investments

Weltweit ist die CVC-gestützte Eigenkapitalfinanzierung nach den beiden Rekord- und Ausnahmejahren 2021 und 2022 im Folgejahr deutlich eingeknickt. Für 2024 errechnete der Datenanbieter CB Insights allerdings schon wieder eine Steigerung von 20% auf 65,9 Mrd. USD. Es geht also bei den Finanzierungsvolumina wieder aufwärts. Die Zahl der Deals war aber mit 3.434 (2023: 3.763) weiter rückläufig. Weniger Finanzierungen – dafür aber größere, zum Teil Megarunden mit einem Volumen von über 100 Mio. USD. Dominiert wird das Geschehen global von einem Thema: Künstliche Intelligenz. 37% (28%) aller CVC-Finanzierungen und 21% (17%) aller Deals hatten Bezug zu KI und angrenzenden Bereichen – und da spielt Corporate Venture Capital eine herausragende Rolle. „Die KI-Welle wird vor allem von Corporates und CVC getragen, denn die KI-Start-ups brauchen neben Kapital vor allem auch die Expertise und die Vertriebskanäle von Partnern. Sie brauchen Partner, die ihr Produkt nutzen“, sagt Jörg Landsch, Vorstand des Bundesverbands Beteiligungskapital (BVK) und Leiter der zentralen Corporate Venture Capital-Einheit der Deutschen Bank. Auch in Europa und Deutschland bildet KI einen Investitionsschwerpunkt, aber daneben ist noch viel Raum für andere technologische Bereiche. „Europa ist bei den Venture Capital-Investitionen diversifizierter. Neben KI fließt auch viel Kapital in Deeptech, Climate sowie Defence und Security“, sagt Landsch. Begünstigt wird das Investitionsgeschehen hierzulande durch Bündnisse wie die Win-Initiative, bei der Politik, Wirtschaft und Verbände Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wachstums- und Innovationskapital beschlossen haben. „Gerade wir als BVK haben uns für Corporates in der Win-Initiative stark gemacht, auch weil sie neben reinem Kapital weiteren Mehrwert für das Start-up und den Wirtschaftsstandort Deutschland mitbringen“, sagt Landsch. Durch die Mitgliedschaft im BVK würden die Stimmen der CVCs gebündelt, mit der der Verband die Interessen bei den verschiedenen Stakeholdern zu Gehör bringt.

Für viele ist CVC alternativlos

Viele Unternehmen mit Venture-Armen haben ihr Engagement nicht zurückgefahren. Vor allem viele Konzerne bleiben weiter am Ball; erst recht, wenn sie glauben, es sich nicht leisten zu können, eine wichtige Entwicklung zu verpassen. Der deutsche KI-Hoffnungsträger Aleph Alpha etwa bekam in seiner Series B-Finanzierungsrunde Ende 2023 eine Kapitalspritze von einer halben Mrd. USD. Angeführt wurde das Investorenkonsortium von den beiden Venture Capital-Armen des Bosch-Konzerns und der Schwarz-Gruppe. Mit von der Partie waren auch SAP und Burda Principal Investments. Auch der Autozulieferer Continental bleibt bei seinem Venture Capital-Geschäft Co-Pace, trotz angekündigter Entlassungen und Werkschließungen. Im Herbst vorigen Jahres beteiligte er sich an einer 30-Mio.-EUR-Anschlussfinanzierung für DeepDrive, ein Start-up, das an einem neuartigen Elektromotor für Fahrzeuge arbeitet. Prof. Dr. Helmut Schönenberger kennt das Dilemma, in dem viele Unternehmen mit Blick auf CVC stecken. Aber der Geschäftsführer des Münchner Gründerzentrums UnternehmerTUM erlebt dort, dass die meisten Unternehmen bei ihrem Commitment bleiben. „Natürlich gibt es wegen der schwieriger werdenden Budgetlagen viele Herausforderungen. Dennoch haben wir in Deutschland viele CVCs, wie etwa i Ventures von BMW oder auch Robert Bosch Venture Capital, die in neue Technologien investieren, dadurch neue Märkte erschließen und trotz aller Unsicherheit eine sehr langfristige und kluge Strategie fahren.“

Am Ball bleiben durch Ausgliederung

Ein Weg, die Zukunftschancen nicht zu verpassen und zugleich die eigenen Mittel mehr beisammenzuhalten, ist die Ausgliederung des unternehmenseigenen Wagniskapitals
in selbstständige Fonds. Das kommt naturgemäß aber nur bei solchen CVCs infrage, die bereits eine Fondsstruktur haben und nicht, wie die meisten der mehr als 100 CVC-Aktivitäten in Deutschland, aus der Bilanz finanziert werden. Derartige Ausgliederungen sind in der letzten Zeit häufiger zu beobachten. In der Regel haben die neuen, unabhängigen Venture Capitalisten dann erst einmal noch das alte Team und den ehemaligen Alleininvestor als Ankerinvestor oder zumindest in einer wichtigen Rolle als Limited Partner. Sie suchen dann frei am Markt nach weiteren Investoren. „Die Ausgliederung ist eine der Spielarten, die wir im Moment häufiger sehen“, sagt Schönenberger. „Auf diese Weise ist zum Beispiel der unabhängige Venture Capitalist Leitmotiv aus dem VW-Umfeld entstanden. Im Luft- und Raumfahrtbereich beginnt sich Airbus Ventures ähnlich zu öffnen. Das Spannende ist, dass sich gerade eine sehr differenzierte Landschaft mit vielen erfolgreichen Modellen entwickelt“, sagt Schönenberger.

Flexibel und Mittelstandsorientiert

Auch viele Mittelständler halten an ihren Venture-Armen fest. Ein Beispiel ist die Lübecker Possehl-Holding, eine Familienstiftung, zu der rund 200 kleinere und mittelgroße Industrieunternehmen gehören. Das Venture Capital-Geschäft, Possehl Digital, wird direkt aus der Holding finanziert und beteiligt sich direkt sowohl mehrheitlich als auch über Minderheitspositionen an vielversprechenden Start-ups und Grown-ups aus dem Technologiebereich. Verfolgt wird eine Doppelstrategie: Zum einen zielt man auf Unternehmen, die so aufgestellt sind, dass sie am Ende auch eine Rendite versprechen. Zum anderen sollen die Zielunternehmen sowohl die eigenen Firmen in puncto Digitalisierung nach vorne bringen als auch für andere Mittelständler nutzbringend sein. „Wir suchen immer nach dem breiten strategischen Fit, der nicht nur unsere Unternehmen, sondern den Mittelstand insgesamt nach vorne bringt“, sagt Geschäftsführer Christoph Haß. Vielversprechend findet er derzeit vor allem digitale Lösungen, die ein Unternehmen im Bereich Vertrieb und Marketing, IT-Modernisierung und auch bei der Bewältigung der steigenden regulatorischen Vorschriften voranbringen. Dass ihm im aktuell schwierigen Umfeld die Mittel gekürzt werden, befürchtet er nicht. „Possehl ist sehr breit aufgestellt. Wenn ein Geschäftsbereich gerade nicht gut funktioniert, funktioniert dafür ein anderer.“

Venture Clienting – Ersatz oder Feigenblatt?

Eine Möglichkeit, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Kontakt zu Start-ups nicht zu verlieren, ist Venture Clienting. Etablierte Unternehmen treten dabei nicht als Investoren auf, sondern als Kunden, bei denen die jungen Unternehmen ihre Technologien und Produkte einsetzen und testen. Der Vorteil: Man geht kein finanzielles Risiko ein, bindet keine Mittel. Der Nachteil: Man bleibt im Grunde außen vor und verdient nichts daran. „Venture Clienting ist sicher eines der Werkzeuge, mit denen man Innovation ins Unternehmen holen kann. Aber es ist aus meiner Sicht wesentlich vorteilhafter, sich auch finanziell daran zu beteiligen“, sagt Landsch. Denn dann sitze man meistens mit im Board. Auf jeden Fall sei die Partnerschaft mit dem Start-up deutlich intensiver.

Fazit

Die gesamtwirtschaftliche Lage ist angespannt und bleibt es womöglich noch einige Zeit. Ungeachtet dessen steigt der Transformationsdruck angesichts neuer Technologien und Anwendungen immer weiter – und immer schneller. Da kommen Unternehmen um die Gretchenfrage nicht herum: Wie halten wir es mit Start-ups? In das CVC-Geschäft einsteigen, aussteigen, den Venture Capital-Arm ausgliedern, die Venture Capital-Aktivitäten zurückfahren; es ist eine wichtige strategische Entscheidung. Wer aber Venture Capital macht, muss es langfristig tun. „Das langfristige Denken ist gerade bei Technologiethemen entscheidend. Die Ergebnisse kommen dort nicht über Nacht“, sagt Schönenberger. „Wichtig ist es überdies, dass man das Geschäft sehr professionell betreibt, also Leute mit den nötigen Skills im Team hat und ein großes Netzwerk. Nur das eröffnet den Zugang zu den wirklich interessanten Bieterrunden“, ergänzt Landsch. Kurzum: Erfolgreiches CVC-Geschäft ist eher ein Marathon als ein Sprint.