Das Smartphone von morgen ist ein Roboter

Investitionstrend humanoide Robotik

Jan Miczaika (HV Capital) & David Reger (Neura Robotic)
Jan Miczaika (HV Capital) & David Reger (Neura Robotic)

Bildnachweis: HV Capital, Neura Robotic, VentureCapital Magazin, Pixabay.

Humanoide Roboter sind keine Zukunftsvision mehr. Die Maschinen mit menschen-ähnlichem Körperbau, ausgeprägter sensorischer Wahrnehmung und autonomer Handlungsfähigkeit stehen kurz vor dem seriellen Einsatz in unstrukturierten und dynamischen Umgebungen. Der globale Innovationswettlauf ist in vollem Gange. Warum Deutschland dabei eine wichtige Rolle spielen kann und sollte, erklärt David Reger, Gründer und Geschäftsführer von Neura Robotics.

Kennen Sie Atlas, Digit, Figure 02, Optimus oder Phoenix? Diese Maschinenkreationen verschiedener Hersteller begeistern das Publikum, wenn sie bei Präsentationen
geschmeidig tanzen, spontan einen Tennisball fangen oder das Ei in den Kühlschrank räumen, den Apfel aber in den Obstkorb legen. Die einfacheren Plattformsysteme, die bei klassischen Industrierobotern zum Einsatz kommen, reichen für den Einsatz in strukturierten Umgebungen aus, etwa in der Automobilindustrie oder der Logistik. Nur ganzheitliche humanoide Roboter bieten dagegen die reichhaltigen sensorischen Eingabe- und die komplexen Ausführungskomponenten, die für höhere kognitive Prozesse – Verstehen, Denken, Entscheiden in Echtzeit – notwendig sind. Sie werden in Zukunft, von der Schwerindustrie bis in den privaten Alltag, zunehmend körperlich anstrengende oder für Menschen weniger attraktive Tätigkeiten übernehmen und damit zur Entlastung des Arbeitsmarkts beitragen sowie Produktivität und Wirtschaftswachstum fördern, so die Prognose der Technologiebefürworter. Die jüngsten technologischen Durchbrüche bei maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz machen dies möglich. Hinzu kommen große Entwicklungssprünge bei Batterien, Sensoren und Prozessoren. Damit steht die Automatisierungsbranche vor der nächsten Evolutionsstufe.

Serienfertigung Humanoider steht in den Startlöchern

Erste Verkäufe der nützlichen Helfer an kommerzielle Privatkunden werden im Markt bereits notiert. Die meisten Hersteller testen ihre Kreationen aber noch im Labor und in professionellen Anwendungen. Beispiele liefern in den USA Figure AI und der Autobauer BMW, Agility Robotics und der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler sowie in China Ubtech Robotics und der Elektroautobauer Nio. Einen anderen Weg geht das norwegische Start-up 1X Technologies: Es plant bis Ende 2025 erste Tests seines humanoiden Robotermodells in „einigen Hundert bis einigen Tausend“ Haushalten, wo Roboter unter Menschen leben und durch Nachahmung von ihnen lernen sollen. Nach Recherchen von Forbes Media gibt es derzeit weltweit rund 100 Unternehmen, die humanoide Roboter herstellen, und mindestens 16 davon haben bereits ein Produkt, eine Vision und das nötige Kapital, um damit in die Serienproduktion zu gehen. Tesla-CEO Elon Musk erwartet, dass die Humanoiden bis zum Jahr 2040 die menschliche Bevölkerung zahlenmäßig übertreffen könnten. Jensen Huang, CEO von NVIDIA, sieht immerhin das Potenzial, dass sie so allgegenwärtig werden, wie Autos es heute sind. Grundsätzlich rechnen Branchenexperten damit, dass ihre Verbreitung mit sinkenden Kosten und steigender Leistungsfähigkeit exponentiell zunehmen wird.

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Hohe Wachstumserwartung verstärkt das Investoreninteresse

Das Marktforschungsinstitut Fortune Business Insights schätzt, dass das globale Marktvolumen des noch kleinen Segments der Robotik von etwa 3,3 Mrd. USD anno 2024 bis 2032 auf 66 Mrd. USD ansteigen und die Wachstumsrate des gesamten Automatisierungsmarkts damit deutlich übertreffen wird. Solche Aussichten befeuern das Interesse globaler Investoren, wovon auch deutsche Start-ups profitieren. So konnte die 2021 gegründete Sereact GmbH Anfang dieses Jahres den Abschluss einer Series A-Runde über 25 Mio. EUR vermelden, angeführt vom schwedischen Early- und Later Stage-Investor Creandum. Das Jungunternehmen mit Sitz in Stuttgart entwickelt bisher hardwareunabhängige KI-Modelle, die die Automatisierung in Lagerhaltung, Logistik und anderen Branchen revolutionieren sollen. Künftig möchte es neue Robotikplattformen
entwickeln – von mobilen Robotern bis hin zu menschenähnlichen Systemen. Bislang gibt es in Deutschland nur einen Hersteller humanoider Roboter: die 2019 gegründete Neura Robotics GmbH in Metzingen. Für Juni ist die Vorstellung ihrer Entwicklung 4NE-1 (gesprochen: „for anyone“) der dritten Generation angekündigt, die nach Unternehmensangaben die derzeit beste auf dem Markt sein soll. 120 Mio. EUR hat das Start-up im Januar in einer Series B-Finanzierung unter Führung von Lingotto Investment Management eingesammelt. „Robotik ist eines der vielversprechendsten Investitionsfelder mit großer Anwendungsbreite in der Industrie, aber auch im Handel, in Pflegeeinrichtungen und nicht zuletzt im Haushalt“, sagt Jan Miczaika, Partner bei HV Capital. Der Frühphasen- und Wachstumsinvestor ist seit 2023 bei Neura Robotics investiert und auch in der jüngsten Folgerunde engagiert. „Doch Wettbewerber und Kunden sind global aufgestellt. Um hier mithalten zu können, müssen deutsche Start-ups direkt an der Spitze mitspielen können – Neura ist das dank ausreichenden Kapitals, technologischer Exzellenz und hoch spezialisierter Talente gelungen. Ihr aktueller Auftragsbestand im Wert von 1 Mrd. EUR spricht für sich.“ Überzeugt ist Miczaika, dass Deutschland als klassisches Industrieland seine historisch gewachsene Robotikkompetenz weiter ausbauen sollte: „Wer humanoide Robotik noch immer als Zukunftsthema behandelt, verpasst die Gegenwart. Aktuell werden die Spielregeln neu geschrieben: Dabei geht es nicht nur um eine Technologie, sondern um konkrete Wertschöpfung, die Etablierung ethischer Standards und nicht zuletzt die Sicherung geopolitischer Souveränität.“

Ausbau kognitiver Robotik kann Standort Deutschland stärken

Reger formuliert das wie folgt: „Wenn wir nicht wollen, dass unsere Altenpflege demnächst auf chinesischer Hardware mit amerikanischer Software basiert, müssen wir heute aktiv werden.“ Druck komme derzeit besonders stark aus China, das bis 2030 rund 40 Mio. Humanoide produzieren will. Die Zahl entspricht nahezu der gesamten Erwerbsbevölkerung
Deutschlands. „Das wäre eine Effizienzsteigerung von solchem Ausmaß, wie der Rest der Welt sie nicht tatenlos akzeptieren kann“, so Reger, der darin aber gleichzeitig eine wichtige Chance für Deutschland und Europa erkennt: „Der Wettlauf um intelligente Roboter beschleunigt das globale Marktwachstum und eröffnet uns genau jetzt die Möglichkeit, vorhandene Stärken auszuspielen. Gerade die Automobilindustrie auf unserem Kontinent, historisch gesehen der Motor für Automation und Robotik, kann dabei größter Profiteur und Treiber zugleich sein: Etablierte Netzwerke aus Zulieferern, die weltweiten Standards entsprechen, und der umfangreiche Datenpool aus Millionen realen Fertigungsprozessen bilden einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil beim Training kognitiver Roboter für unterschiedlichste Anwendungen.“ Entscheidend werde sein, wo die Infrastruktur und das Ökosystem für die hochwertige Serienproduktion von Full Stack-Produkten vorhanden sind und mit einer skalierbaren Entwicklungslandschaft verbunden werden können. Wer diese Kombination meistere, könne den globalen Markt nachhaltig erobern. Für Reger steht fest: „Intelligente Roboter werden sich von reinen Industrieanwendungen hin zu vielseitigen Alltagshelfern im privaten Umfeld weiterentwickeln – vergleichbar mit einem Smartphone, das über Arme und Beine verfügt. Dieses Innovationsfeld hat das Potenzial, sich zum nächsten globalen Massenmarkt zu entwickeln. Heute gilt es, sich dafür zu positionieren. Dann kann die kognitive Robotik einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die industrielle Produktion in Deutschland wieder international wettbewerbsfähig zu gestalten.“

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