„Für uns war die Unterstützung aus dem Zukunftsfonds besonders wertvoll“

Interview mit Nils Chrestin, GetYourGuide

Nils Chrestin, GetYourGuide
Nils Chrestin, GetYourGuide

Bildnachweis: GetYourGuide.

Seit 15 Jahren bringt GetYourGuide Reisende und Anbieter unvergesslicher Erlebnisse zusammen. Heute listet die Plattform über 150.000 Aktivitäten, ist profitabel in Kernmärkten und wächst stark. CFO Nils Chrestin spricht über Strategie, Finanzierungsbedingungen und die Zukunft der deutschen Venture Capital-Landschaft.

VC Magazin: GetYourGuide ist ein führender globaler Marktplatz für unvergessliche und einzigartige Reiseerlebnisse. Wie funktioniert das Geschäftsmodell, welche Meilensteine haben Sie bisher erreicht?

Chrestin: GetYourGuide fungiert als zweiseitiger Marktplatz, der Reisende mit lokalen
Erlebnisanbietern verbindet. Unsere Einnahmen generieren wir durch eine Gebühr, die von den Erlebnisanbietern für jede über unsere Plattform getätigte Buchung erhoben wird. Zusätzlich bieten wir unseren Partnern Marketingdienstleistungen an. Heute haben wir über 150.000 Aktivitäten von 35.000 Erlebnisanbietern auf unserer Plattform. Wir sind stolz darauf, seit der Pandemie um das Fünffache gewachsen zu sein und in unseren Kernmärkten profitabel zu wirtschaften.

VC Magazin: GetYourGuide hat kürzlich Marketingkampagnen mit Bastian Schweinsteiger, Felix Neureuther und den Kaulitz-Zwillingen gestartet. Warum?

Chrestin: Diese Kampagnen sind Teil unserer globalen und lokalen Markenstrategie. Wir wollen Menschen für Erlebnisse begeistern, und dafür braucht es authentische Stimmen. Mit Bastian Schweinsteiger und Felix Neureuther sprechen wir Sportfans an und zeigen, dass das eigentliche Abenteuer oft vor, nach und neben dem Spiel stattfindet. Bill und Tom Kaulitz wiederum öffnen die Türen zu ihrem persönlichen Los Angeles und machen ihre Lieblingsorte für eine jüngere, kulturell interessierte Community erlebbar. Der Schlüssel liegt im authentischen Storytelling: Diese Persönlichkeiten teilen echte Erlebnisse und Insider-Tipps, nicht nur Werbebotschaften. Durch ihre starken Fanbases wecken wir Neugier, gewinnen neue Zielgruppen für unsere Plattform und stärken gleichzeitig unsere Marke in Deutschland.

VC Magazin: Wie sieht GetYourGuides Wachstumsstrategie für 2026 aus?

Chrestin: Unsere Strategie basiert auf drei Säulen: Kategorieexpansion, geografisches
Wachstum und Kundenloyalität. Wir erweitern unser Angebot um Shows und Events mit dynamischer Sitzplatzauswahl und Echtzeitpreisgestaltung. Geografisch fokussieren wir uns auf kuratierte Expansion – mehr Destinationen mit tieferem Angebot pro Standort. Besonders wichtig wird 2026 die Kundenbindung. Wir investieren massiv in KI-gestützte Personalisierung und entwickeln KI-Funktionen für unsere Partner. Unser Ziel ist es, dass Kunden nicht nur einmal buchen, sondern GetYourGuide zu ihrer ersten Anlaufstelle für Reiseerlebnisse wird.

VC Magazin: GetYourGuide wurde vor mehr als 15 Jahren gegründet, ist heute ein Einhorn und wird von etablierten Venture Capitalisten wie SoftBank und KKR unterstützt. Wie hat sich die Venture Capital-Landschaft allgemein und speziell in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

Chrestin: Die deutsche Venture Capital-Landschaft hat sich dramatisch verbessert, ist aber noch nicht am Ziel. Als wir 2009 starteten, war es praktisch unmöglich, als junges Team größere Finanzierungsrunden zu stemmen. Heute haben wir ein lebendiges Ökosystem mit Berlin und München als Hauptzentren. Deutschland ist mittlerweile ein Netto-Kapitalimporteur im Wagniskapitalbereich – zwischen 2020 und 2024 konnten deutsche Start-ups 16 Mrd. EUR mehr aufnehmen, als die lokale Venture Capital-Aktivität allein ermöglicht hätte. Das zeigt sowohl die Attraktivität deutscher Start-ups für internationale Investoren als auch die Notwendigkeit, das heimische Ökosystem weiter zu stärken.

VC Magazin: Wie bewerten Sie die aktuellen Finanzierungsbedingungen für Later Stage-Start-ups?

Chrestin: Die Finanzierungsbedingungen haben sich nach dem schwierigen Jahr 2023 stabilisiert. Wir sehen wieder steigende Investitionsvolumen, wobei sich die Investoren stärker auf Unternehmen mit robusten Fundamentals und bewiesenen Geschäftsmodellen konzentrieren. Für GetYourGuide war die Unterstützung durch Programme wie Venture Tech Growth Financing (VTGF) der KfW aus dem deutschen Zukunftsfonds besonders wertvoll. Solche öffentlich-privaten Partnerschaften schließen wichtige Finanzierungslücken und ermöglichen es Unternehmen wie uns, auch in herausfordernden Zeiten zu wachsen. Das VTGF-Programm zeigt, wie durchdachte staatliche Unterstützung private Investitionen hebeln kann. Langfristig könnte das Finanzierungsumfeld für Later Stage-Start-ups durch zwei zentrale Maßnahmen gestärkt werden: eine stärkere Beteiligung von Pensionsfonds, die durch Investitionen in Venture Capital-Fonds die Kapitalbasis verbreitern und Stabilität in herausfordernden Zeiten schaffen, und die Öffnung des Wagniskapitalmarkts für Kleinanleger durch innovative Plattformen und gezielte regulatorische Anpassungen, um Finanzierungslücken zu schließen und die Innovationskraft breiter zu aktivieren.

VC Magazin: Was sollten Politiker Ihrer Meinung nach noch tun, um das Finanzierungsökosystem für Wachstumsunternehmen in Deutschland weiter zu verbessern?

Chrestin: Der Zukunftsfonds ist ein wichtiger Schritt, aber wir brauchen mehr. Erstens:
Die Besteuerung von Mitarbeiteraktienoptionen muss dringend reformiert werden – aktuell
verlieren wir Talente an andere Märkte. Zweitens: Wir brauchen mehr institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, die in deutsche Venture Capital-Fonds investieren. Pensionsreform könnte hier eine Schlüsselrolle spielen. Durch die gezielte Mobilisierung von Pensionskapital könnten erhebliche Mittel in den Wagniskapitalbereich fließen, was nicht nur Start-ups stärkt, sondern langfristig auch die Rentensysteme diversifiziert und stabilisiert. Länder wie Kanada und die Niederlande zeigen, wie erfolgreich Pensionsfonds als Investoren in Wachstumsunternehmen agieren können. Deutschland sollte diesem Beispiel folgen und regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, die Pensionsfonds dazu ermutigen, stärker in innovative Unternehmen zu investieren. Drittens sollten wir erfolgreiche Unternehmer stärker als Business Angels aktivieren und viertens die Bürokratie für Start-ups reduzieren. Deutschland hat exzellente Forschungsinstitutionen und ein zunehmend erfahrenes Start-up-Ökosystem – jetzt müssen wir die regulatorischen Rahmenbedingungen entsprechend anpassen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Darüber hinaus sollten wir auch die Rolle von Retail-Investoren neu denken. Durch regulatorische Änderungen könnten Kleinanleger Zugang zu Venture Capital-Investitionen erhalten, beispielsweise über Crowdfunding-Plattformen oder spezialisierte Fonds. Dies würde nicht nur die Kapitalbasis für Start-ups verbreitern, sondern auch die Innovationskraft der Bevölkerung aktivieren. Retail-Investoren könnten von den Chancen profitieren, die frühe Investments in private Unternehmen bieten, und gleichzeitig das Wachstum der deutschen Start-up-Landschaft unterstützen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Interviewpartner:

Nils Chrestin ist seit Mai 2019 CFO bei GetYourGuide. Zuvor war er bei Morgan Stanley im Investmentbanking tätig. 2013 wurde er Managing Director und CFO bei Lamoda, anschließend ab 2015 CFO der Global Fashion Group.