Bildnachweis: KAUFMANN / LANGHANS, VentureCapital Magazin.
Die Anzeichen für eine weitere Stabilisierung der globalen Venture-Capital-Märkte im Jahr 2026 mehren sich. Investitionsvolumina ziehen wieder an, Exit-Aktivitäten nehmen zu und IPO-Kandidaten laufen sich warm. Dennoch wäre es ein Trugschluss, daraus auf eine flächendeckende Erholung zu schließen – zumindest für Europa. Denn die strukturellen Ungleichgewichte verschärfen sich weiter. Für die meisten europäischen Start-ups dürfte 2026 deshalb kein Jahr der Entspannung werden.
1. Europas Startup-Ökosystem verliert weiter an relativer Bedeutung
Europa bringt nach wie vor viele junge Technologieunternehmen hervor. Der Kontinent stemmt noch immer rund 20 Prozent des globalen Early-Stage-Volumens und verfügt über eine starke wissenschaftliche Basis. Gleichzeitig zeigt sich seit Längerem eine strukturelle Schieflage: Während Europa in der Frühphase vergleichsweise gut aufgestellt ist, bleibt es beim Wachstumskapital deutlich zurück. Der Anteil Europas an den globalen Late-Stage-Finanzierungen lag zuletzt nur noch bei rund 9 Prozent. Besonders deutlich wird die Problematik in Deutschland: Das Investitionsniveau lag hierzulande zuletzt auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren, während überdies auch das Fundraising der Venture-Capital-Fonds stockt. Ende 2025 haben VCs in Deutschland rund 30 Prozent weniger Kapital eingesammelt als im Vorjahr. Da das vorhandene Kapital deutlich schneller allokiert wird, als neues Kapital eingesammelt werden kann, drohen in den kommenden Jahren strukturelle Finanzierungslücken.
2. Die KI-Dynamik ist kein Hype – sie konzentriert Kapital und Macht
Kein Sektor zieht derzeit mehr Kapital an als Künstliche Intelligenz. In den vergangenen Quartalen floss rund 45 bis 50 Prozent des weltweit investierten Venture-Capitals in KI-Start-ups; ein Drittel dieses Kapitals konzentrierte sich auf weniger als 20 Unternehmen. Diese Konzentration folgt einer einfachen Logik: Große Modelle erfordern enorme Rechenleistung, spezialisierte Chips und hochqualifizierte Teams. Wer hier früh skaliert, baut kaum einholbare Vorteile auf. So wundert es auch nicht, dass sich die Fundraising-Zyklen führender US-KI-Start-ups inzwischen auf sechs Monate verkürzt haben. Europa verzeichnet in diesem Umfeld einzelne Achtungserfolge. So stemmte Mistral AI zuletzt eine zwei Milliarden US-Dollar schwere Finanzierungsrunde – die bislang größte KI-Finanzierung Europas – und erreichte eine Bewertung im zweistelligen Milliardenbereich. Auch Vertical-AI-Startups wie Loveable oder das Berliner Automatisierungs-Start-up n8n wuchsen binnen kurzer Zeit zu Unicorns heran. Dennoch bleibt der alte Kontinent strukturell abhängig: Die entscheidenden Produktionsmittel – Rechenzentren, Chips, Plattformen, Modelle – liegen überwiegend außerhalb Europas. Für viele europäische Unternehmen bedeutet KI daher Effizienzgewinne, aber auch eine zunehmende Abhängigkeit von externer Infrastruktur.

3. Der Exit-Markt belebt sich – allerdings primär in den USA
Global betrachtet nimmt die Exit-Aktivität wieder zu. Zuletzt erreichte das weltweite
Exit-Volumen den höchsten Stand seit mehreren Jahren. Börsengänge und Übernahmen schaffen wieder Liquidität und setzen Kapital für neue Investitionen frei. Dass Europa von dieser Entwicklung bislang kaum profitiert, liegt weniger im Mangel an attraktiven Start-ups als an der fehlenden Kapitalmarktunion. Nationale Börsenplätze bleiben fragmentiert, es fehlt an Wachstumskapital, wohin man schaut. Der Fall Klarna steht exemplarisch dafür: Ein europäisches Vorzeigeunternehmen, das den Gang an die Börse vollzieht – allerdings nicht in Europa, sondern in den USA. Solange es Europa nicht gelingt, einen echten gemeinsamen Kapitalmarkt zu schaffen, wird sich daran nichts ändern. Ersatzinstrumente wie Continuation Funds verschaffen punktuell Liquidität, ändern jedoch nichts daran, dass es an einem verlässlichen Exit-Kanal fehlt. Entsprechend bleibt der Kapitalrückfluss aus erfolgreichen Exits gering und unregelmäßig – mit direkten Folgen für das Fundraising von Venture-Capital-Fonds und die Verfügbarkeit von Wachstumskapital. Für Growth- und Late-Stage-Finanzierungen in Europa wird die Perspektive damit auch im Jahr 2026 angespannt bleiben.
4. Lockerere US-Geldpolitik könnte die Schere weiter öffnen
Für 2026 rechnen viele Marktbeobachter mit einer expansiveren US-Geldpolitik. Nach Jahren restriktiver Zinspolitik mehren sich die Signale für eine Fortsetzung der begonnenen Lockerung, zumal ein neuer Fed-Chef von Trumps Gnaden den Druck auf Zinssenkungen voraussichtlich erhöhen dürfte. Erfahrungsgemäß führen solche Phasen zu einer stärkeren Allokation von Kapital in risikoreichere Anlageklassen, insbesondere in Technologie- und Wachstumsunternehmen. Für europäische Start-ups ist diese Aussicht jedoch ambivalent. Denn zusätzliche Liquidität entfaltet ihre Wirkung dort am stärksten, wo Kapitalmärkte, große Fonds und funktionierende Exit-Kanäle vorhanden sind. In den vergangenen Zyklen floss ein erheblicher Teil neu verfügbarer Mittel in US-Techunternehmen, während Europa vergleichsweise wenig davon abschöpfen konnte. An dieser grundlegenden Asymmetrie hat sich wenig geändert, im Gegenteil. Sollte es 2026 zu einem neuen, liquiditätsgetriebenen Tech-Zyklus kommen, dürfte sich der Abstand daher eher vergrößern und Europas strukturelle Schwächen im Bereich Wachstumskapital und Exits noch deutlicher sichtbar machen.
5. Defensetech entwickelt sich zum zweiten strukturellen Wachstumstreiber
Neben KI etabliert sich der Verteidigungssektor als langfristiger Wachstumstreiber der Start-up-Finanzierung. Weltweit steigen die Verteidigungsausgaben seit Russlands Angriff auf die Ukraine deutlich. Ein Trend, der sich angesichts der anhaltenden geopolitischen Spannungen auch 2026 fortsetzen wird. Der technologische Wandel in Bereichen wie Drohnen, Sensorik, Autonomie und Software verändert die Branche dabei grundlegend. Anders als in vielen anderen Sektoren tritt der Staat hier häufig als verlässlicher Erstkunde auf, was Marktrisiken reduziert und Skalierung erleichtert. Europa ist in diesem Bereich durchaus wettbewerbsfähig. In Deutschland etwa erreichte das Drohnen-Startup Stark Defense nur 18 Monate nach Gründung eine Bewertung im hohen dreistelligen Millionenbereich, während Quantum Systems nach einer dreistelligen Millionenfinanzierung im Sommer bereits die nächste große Runde vorbereitet. Helsing wiederum sammelte rund 600 Millionen Euro ein, erreichte damit eine Bewertung von rund 12 Milliarden Euro, stieg zum wertvollsten deutschen Startup auf und treibt – unter anderem durch den Kauf eines Flugzeugbauers – den Aufbau einer vertikal integrierten Verteidigungsplattform voran. Klar ist: Einige der spannendsten Defensetech-Start-ups entstehen derzeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Hohe Bewertungen, große Finanzierungsrunden und vertikale Integration zeigen, dass sich hier 2026 ein tragfähiges und global wettbewerbsfähiges Ökosystem entwickeln kann – ein Hoffnungsschimmer in trüben Zeiten für Europa.
Über den Autor:
Nils Langhans ist Geschäftsführer der Strategieberatung KAUFMANN / LANGHANS. Er
berät Startups beim Fundraising und bei der Entwicklung ihrer Equity Story – von der
Pre-Seed- bis zur Later-Stage-Finanzierung.



