Ein Blick zurück nach vorn

Szenario 3: Neue Player, neues Glück

Die deutsche Venture Capital-Szene erfindet sich komplett neu. Was den großen Venture Capital-Fonds früher nicht gelungen ist, schaffen die Inkubatoren: Sie bringen eine Reihe international bedeutsamer Unternehmen hervor. Das Statistische Bundesamt rechnet 2026 vor, dass aus deutschen Inkubatoren heraus entstandene Unternehmen aktuell insgesamt 20.000 Mitarbeiter beschäftigen. Auch finanziell ist das Business lukrativ, schließlich liegt der durchschnittliche Multiple beim Exit bei 3,4, wie der Verband „IFG Incubators for Germany“ vorrechnet. Kein Wunder, dass auch die Branchendinos dem klassischen Venture-Fondsmodell schon lange abgeschworen haben. So gründen beispielsweise die Partner der traditionsreichen deutschen Earlybird Venture Capital 2020 drei eigene Inkubatoren. Dabei hätten sie sich auch für Business Angels-Aktivitäten entscheiden können, denn spätestens seit der Aufstockung des Investitionszuschusses Wagniskapital 2016 und der Streubesitz-Richtlinie der EU, die 2015 Streubesitzgewinne steuerfrei stellt, sind auch Angels-Engagements sehr lukrativ. Das Business Angels Netzwerk für Deutschland (BAND), das 2020 bereits 30 Mitarbeiter beschäftigt, zählt jährlich 200 neue aktive Angels. Was aber nach wie vor fehlt, sind die wirklich großen Tickets. Start-ups, die nicht innerhalb eines Inkubators aufgepäppelt werden, müssen auf ausländisches Wachstumskapital hoffen. Der German Silicon Valley Accelerator, der seit 2015 jährlich 150 Gründerteams ins Valley schickt, um dort Investoren von sich zu überzeugen, ist da ein willkommener Rettungsanker. Denn einheimische Fonds können größere Wachstumsschritte kaum mehr unterstützen. Sie können seit dem Hickhack um den europäischen Venture-Dachfonds, der 2018 endgültig aufgegeben wurde, keine wirklich signifikanten Summen mehr einsammeln. Zum Glück gibt es den High-Tech Gründerfonds III, der seit 2019 auch in reifere Start-ups investieren darf und dazu nicht einmal mehr Co-Investoren braucht.

Szenario 4: Deutsche Start-ups brechen alle Rekorde

Wer hätte das noch vor 20 Jahren gedacht! 2024 haben nationale und internationale Wagniskapitalgeber 5 Mrd. EUR in deutsche Start-ups investiert. Diese neue Rekordzahl verkündet der Branchenband Bundesverband deutscher Venture- und Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVVK) auf dem 7. Venture World Summit in Berlin, dem größten Branchentreffen der Venture-Szene weltweit. Der Summit findet im Kongresszentrum des Berliner Kleiner Perkins-Towers im 30. bis 35. Stock statt. Von dort hat man einen atemberaubenden Blick auf die Skyline der Hauptstadt, wo die Wolkenkratzer der amerikanischen und chinesischen Venture Capital-Gesellschaften in den Himmel ragen. Die Frühphaseninvestoren sind in den vergangenen Jahren in Scharen nach Deutschland gepilgert, denn nirgends wurden in den vergangenen zehn Jahren solche Erfolgsgeschichten geschrieben wie in good old Germany. Der Börsengang Zalandos war der erfolgreichste der 2010er-Jahre und löste eine Welle von IPOs aus, besonders bei Mister Spex, SoundCloud und Wooga klingelten die Kassen der Investoren. Bei IRRs von durchschnittlich 30% kann auch AIFM und Solvency institutionelle Investoren nicht von einem Run auf deutsche Venture Capital-Fonds abhalten. 2020 werden sieben einheimische VC-finanzierte Unternehmen mit über 1 Mrd. USD bewertet. So endet auch die Erfolgsstory von Facebook, das von einem Klon aus dem Team Europe-Imperium erst aus Europa und anschließend aus Asien vertrieben wird. Wer nicht schon längst vom Silicon Valley nach Deutschland gekommen ist, tut es spätestens ab 2021: Ein bislang nur Insidern bekanntes junges Unternehmen aus dem IZB Martinsried entwickelt einen Wirkstoff gegen HIV. Zu verdanken sind die Erfolge der deutschen Start-ups nicht zuletzt der umsichtigen Politik der Bundesregierung: Die Mittel für Forschung und Bildung steigen seit 2014 um jährlich 20%. Der HTGF IV ist in Planung, das Zielvolumen liegt bei 1 Mrd. EUR. Auf Länderebene setzt sich das Engagement fort: Die NRW.Bank unterhält in Nordrhein-Westfalen aktuell 25 Seed-Fonds. Bisheriger Höhepunkt dieser innovationsfreundlichen Politik ist 2021 die Einrichtung eines Bundesministeriums für Gründung und Innovation. Der aktuelle Start-up-Minister Jan Beckers, ehemaliger Serial Entrepreneur und 2013 bis 2018 jährlich als einflussreichster Digital Influencer ausgezeichnet, hat weitere Fördermaßnahmen angekündigt.

Fazit:

Es ist sehr wahrscheinlich, dass keines dieser (zugegebenermaßen etwas überspitzten) Szenarien eintreffen wird. Die Gedankenspiele aber zeigen, wovon die Zukunft der deutschen Venture Capital-Industrie abhängt: Zum einen von der Politik, die durch die richtigen Rahmenbedingungen zur Innovationskraft des Standorts beitragen kann. Vor allem aber entscheidet die unternehmerische Gestaltungskraft der Entrepreneure und ihrer Investoren über ihr eigenes Schicksal.

Wohin wird sich der deutsche Venture Capital-Markt in den kommenden Jahren entwickeln? Welche Faktoren werden die größte Rolle für die Innovationskraft von Start-ups und Investoren spielen? Schicken Sie uns Ihr Zukunftsszenario an [email protected]