„Wir müssen weg von der Bedenkenträgermentalität“

Interview mit Ulrike Hinrichs, Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften

Vor zehn Jahren übernahm Ulrike Hinrichs die Geschäftsführung des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK). Seither hat sich viel verändert. Ein Rückblick und Ausblick – auf den deutschen Markt für Beteiligungskapital, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und den Verband.

VC Magazin: Blicken Sie doch bitte einmal aus der Vogelperspektive auf den europäischen Markt für Venture Capital. Wie sieht der deutsche Markt im innereuropäischen Vergleich aus?

HinrichsIn Deutschland hat sich viel getan. Trotzdem liegen wir über die letzten Jahre gesehen in Europa auf Platz vier beim Fundraising, hinter Großbritannien, Frankreich und Schweden. Eine Zielmarke wäre es, Schweden zu überholen und zu Frankreich aufzuschließen, das aktuell rund viermal so viel Kapital ein­sammelt. In den genannten Ländern herrschen bessere Rahmen­bedingungen vor, die nationale Investorenbasis und die Spitzenfonds sind größer. In Frankreich gibt es beispielsweise ein Förder­programm und die Absetzbarkeit von Verlustvorträgen, Macron hat das Thema Venture Capital für sich zur Chefsache erklärt. Das Fundraising-Volumen in Großbritannien ist aktuell noch das Zehnfache des Deutschen. Das kann sich aber ändern. Es stellt sich die Frage, wie Großbritannien sich im Venture Capital-Markt entwickelt, wenn die europäischen Förderprogramme wegfallen.

VC Magazin: Ändert sich Ihre Perspektive, wenn wir über Rahmen­bedingungen für Beteiligungsfonds sprechen?

HinrichsJa. Wir haben eine gesunde Volkswirtschaft, aber bei der Akzeptanz für Beteiligungskapital besteht weiter Luft nach oben. Wir stehen bei den Rahmenbedingungen noch weit hinter den relevanten Nachbarmärkten. In anderen Ländern gibt es von politischer Seite einfach eine höhere Akzeptanz für die Branche und ein besseres politisches Umfeld. Das sieht man auch beim Fondsstandortgesetz, wo man nur mit Trippelschritten vorankommt, zum Beispiel bei der Umsatzsteuerbefreiung der Management Fee. Aber auch hierzulande wird die Bedeutung von Beteiligungskapital weiterwachsen, und die Bedingungen werden sich verbessern. Ich sitze in zahlreichen Gremien, unter anderem mit den Hauptgeschäftsführern diverser Spitzen­verbände. Ich bekomme aus diesen Kreisen oft zu hören, dass die Unternehmen jetzt Eigenkapital benötigen, um gut aus der Krise zu kommen. Unsere Beteiligungsunternehmen stehen für 1,2 Mio. Arbeitsplätze bei deutschen Unternehmen – eine gewaltige Verantwortung. Das sind 400.000 Beschäftigte mehr als in der gesamten Automobilindustrie oder genauso viele wie im Res­taurant- und Gastronomiebereich. Dies zeigt deutlich die volkswirtschaftliche Bedeutung von Beteiligungskapital bei uns.

VC Magazin: Im September sind Bundestagswahlen. Was steht auf der Wunschliste des BVK?

Hinrichs: Konkret stehen da viele Punkte, die im Zusammenhang mit dem Zukunftsfonds definiert werden; das sind zehn Programmaspekte. Darüber hinaus benötigen wir den Zukunftsfonds zwei, um gerade bei den großen Finanzierungsrunden auch große europäische Investoren schlagkräftig zu machen. Bei unseren französischen Kollegen können wir uns die Förderung von Fondsinvestitionen abschauen. Wir setzen uns wie in Frankreich für eine steuerliche Absetzbarkeit von Venture Capital-­Investitionen ein. Oft möchte der Staat der bessere Investor sein, aber er ist es erfahrungsgemäß nicht. Wir brauchen größere Fonds und bessere Anreizprogramme. Das Fondsstandortgesetz in seiner aktuellen Fassung – das gilt sowohl für die Mitarbeiterbeteiligung als auch für die Umsatzsteuerbefreiung der Management Fee – wird wenig Wirkung auf den Markt zeigen. Hier sind alle zu kurz gesprungen. Letztlich ist es aber gut, dass das Gesetz jetzt existiert und dieses Thema angepackt wurde. Man kann jetzt darauf aufbauen. Was ich mir zudem wünsche: Wir müssen weg von der Bedenkenträgermentalität, zum Beispiel wenn es um Themen wie das Beihilferecht geht. Andere Länder finden hier auch erfolgreiche Wege. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Außenwirtschaftsnovelle. Die Frage ist, was passiert, wenn ausländische Investoren in deutsche Fonds investieren, die wiederum in deutsche Firmen investieren. Hier besteht die Gefahr, dass die Fonds durch eine gewisse Überregulierung ins Ausland abwandern. Wir befinden uns in einer globalisierten Welt – Überregulierung ist eher eine Gefahr denn eine Chance.

VC Magazin: Sie sind seit zehn Jahren Geschäftsführerin des BVK. Wie hat sich die Beteiligungsszene in der letzten Dekade verändert?

HinrichsDie Branche ist größer und vielfältiger geworden, der Markt hat sich deutlich erweitert, zahlreiche neue Player sind eingetreten. Wir haben heute allein über 100 Corporate Venture Capital-Gesellschaften – vor zehn Jahren waren es keine 20. Auch die KfW, die sich vor zehn Jahren fast komplett aus dem Venture Capital-Bereich zurückgezogen hatte, ist wieder mit milliardenschweren Investitionen dabei. Unsere Branche hat in der Öffentlichkeit und in der Politik klar an Bedeutung und ­Akzeptanz gewonnen. Wenn Sie mir vor zehn Jahren erzählt hätten, dass im Deutschen Bundestag einmal eine Debatte explizit über Venture Capital geführt würde, so hätte ich das damals nicht geglaubt. Ich würde sagen, die Branche ist erwachsen geworden und hat auch im internationalen Wettbewerb stark aufgeholt.

VC Magazin: Hat Corona diesen Prozess beschleunigt?

HinrichsUnsere Branche spielt nicht nur bei der Entwicklung von Impfstoffen oder Tests eine erhebliche Rolle – auch viele andere Industrien, in die viel Beteiligungskapital floss, wachsen. Corona hat dort wie ein Katalysator gewirkt. Wenn man uns politisch jetzt keine allzu großen Knüppel zwischen die Beine wirft, haben wir gute Chancen, weiter zu wachsen.

VC Magazin: Auf welche Themen der letzten zehn Jahre blicken Sie gerne zurück, auf welche weniger?

HinrichsIch denke, wir haben mit dem BVK eine noch bedeutendere Rolle eingenommen. Wir sind heute in der Versammlung der Hauptgeschäftsführer vertreten, hatten bei unserem jähr­lichen Eigenkapitaltag immer einen Bundesminister als Speaker dabei. Darüber hinaus ist es uns gelungen, den Verband komplett zu digitalisieren. Ich habe beispielsweise meinen Schreibtisch aus dem Büro geworfen und heute einen rein digitalen Arbeits­platz. Weniger gerne sehe ich, dass auch heute leider ­immer noch teilweise der unsägliche Heuschreckenvergleich bemüht wird. Beteiligungskapital nimmt eine immer wichtigere Rolle in der deutschen Wirtschaft ein, und unser aller Ziel ist es, Ängste im Mittelstand abzubauen und nicht aberwitzige Befürchtungen zu schüren.

VC Magazin: Welche Themen stehen als Nächstes auf Ihrer To-do-Liste?

HinrichsWir möchten, dass unsere Themen fraktionsübergreifend und losgelöst von Wahlperioden auf der To-do-Liste der Politik stehen. Wir dürfen am Standort Deutschland nicht den Anschluss verlieren. Zahlreiche Themen rund um Gesundheit und Klimaschutz können durch unsere Branche nachhaltig nach vorne gebracht werden. Um die Bedeutung von Beteiligungskapital zu veranschaulichen und viele positive Beispiele herauszustellen, sind wir gerade sehr erfolgreich mit unserem Chancenmacher-Bus in Deutschland unterwegs, führen Gespräche mit einer Vielzahl von Investoren und Unternehmen. Wir erhalten reichlich positive Resonanz auf diese Videos. Ein Zukunftsthema ist auch, einen „Innovators Club“ im BVK zu integrieren. Und am 26. Septem­ber, dem Wahlabend, planen wir ein Präsenzevent in Berlin, gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler und dem Lebensmittel­verband – darauf freue ich mich. Ich sehe den BVK als weiterhin wachsenden Verband, der noch stärker mit dem Thema Innovation verbunden sein wird und der hoffentlich gemeinsam mit sei­nen Mitstreitern weiterhin viel für die Branche erreichen kann.

VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!

Ulrike Hinrichs ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK). Am 1. Mai 2021 feierte sie ihr zehnjähriges Jubiläum als Verbandschefin.