Es muss nicht immer Hochdeutsch sein

Starke Szene abseits großer Hotspots

Bildnachweis: @ stock.adobe.com — Manuel Schönfeld.

Hinter traditionell starken Start-up- und Venture Capital-Standorten wie Berlin, Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Hamburg führt Baden-Württemberg zuweilen das Dasein eines „Hidden Champions“. Zu Unrecht, denn das Ländle kann bekanntermaßen alles – „außer Hochdeutsch“.

Andreas von Richter, LBBW Venture Capital
Andreas von Richter, LBBW Venture Capital

Baden-Württemberg konnte im vergangenen Jahr laut startupdetector bei Start-up-Gründungen einen Zuwachs von 21% erzielen und lag im bundesweiten Ranking auf dem dritten Platz. Auch im Bereich der Start-up-Finanzierungen liegt Baden-Württemberg im oberen Drittel. Auf den ersten Blick präsentieren sich somit gute Werte. Doch es lohnt der Blick ins Detail: „In Deutschland stechen vor allem Berlin und München als die deutschen Start-up-Hotspots hervor. Insgesamt wurden 2021 hier rund 85% des deutschen Wagniskapitals investiert. Die Lücke zu Baden-Württemberg ist leider noch sehr groß. Insgesamt flossen hier nur knapp 600 Mio. EUR, knapp 3,5%“, sagt Andreas von Richter, Managing Director bei der LBBW Venture Capital GmbH (LBBW VC), und beruft sich auf Zahlen von EY. Trotzdem sieht von Richter das technologiestarke Baden-Württemberg auf einem Aufwärtstrend mit einer überdurchschnittlich positiven Entwicklung der Anzahl an Finanzierungen. „Meiner Meinung nach fehlt es in Baden-Württemberg an einem klaren Kernzentrum für Start-ups.“ Hierzu gebe es bereits gute Initiativen, diese könnten aber deutlich weiter ausgebaut werden – so gehe dies dem Nachteil einer fehlenden Metropole entgegen. „Vielleicht ist ein Modell wie wohl eins der größten globalen Start-up-Hubs – die Station F in Paris – ein Rollenbeispiel. Ein entsprechendes Zentrum in Karlsruhe, Stuttgart oder Mannheim würde die Attraktivität als allgemeine Gründerszene weiter erhöhen“, sagt von Richter. „Vielleicht würden auch vermehrte Gründerstipendien in Zusammenarbeit mit Universitäten helfen.“ 

Starke Fonds

Guy Selbherr, MBG Baden-Württemberg
Guy Selbherr, MBG Baden-Württemberg

Als starkes Signal für den Start-up-Standort Baden-Württemberg gilt beispielsweise auch der neue Start-up BW Innovation Fonds der MBG Baden-Württemberg. „Er ist Teil der Gründungsoffensive des Landes und richtet sich gezielt an baden-württembergische Start-ups aus den Branchen Informations- und Kommunikationstechnologie, digitale Transformation, industrielle Innovation sowie Gesundheitswesen/Medizintechnik“, erklärt Guy Selbherr, Geschäftsführer der MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft BW GmbH. „Dieser Fonds, der 2022 sein erstes Investment getätigt hat, ergänzt die Finanzierungsbausteine der Start-up BW Initiative des Landes, die bereits erfolgreich mit dem Pre-Seed-Programm Impulse in der Vorgründungsphase setzt, aber beispielsweise auch das Angebot des LEA Venturepartner Fonds einbezieht“, so Selbherr.

Adrian Thoma,
Adrian Thoma, Pioniergeist

Für die Seed-Phase arbeite man gemeinsam mit dem Land an einer weiteren Stärkung mit dem Start-up BW Seed Fonds. Diese Sichtweise teilt Adrian Thoma, Gründer und Geschäftsführer von Pioniergeist: „Wir haben mit Start-up BW Pre-Seed ein tolles Frühphasenförderprogramm und die Gründungsintensität ist seit der Pandemie auch deutlich gestiegen. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren immer mehr auch relevante Finanzierungsrunden aus ‚The Länd‘ sehen werden, wie zuletzt 30 Mio. EUR bei Flip, 29 Mio. EUR bei instagrid oder 17 Mio. EUR bei fruitcore robotics.“

 

Hohe Kompetenz und Innovationskraft

Technologisch ist Baden-Württemberg sehr breit aufgestellt und verfügt über einen starken Mittelstand wie auch große Corporates gleichermaßen. „Baden-Württemberg besitzt eine generell hohe Kompetenz in Wirtschaft, Industrie und Forschung auf verschiedene Schlüsseltechnologien verteilt. Diese ist wiederum auf mehrere Standorte verteilt“, sagt von Richter und verweist beispielhaft auf die Biotechaktivitäten rund um Tübingen und Heidelberg, die Expertise im IoT-Bereich in der Stuttgarter Region oder die KI/ML-Expertise beim KIT. Baden-Württemberg habe die Chance, so von Richter weiter, auch im Bereich Software eine klare Vorreiterrolle zu erreichen. „SAP im baden-württembergischen Walldorf beispielsweise ist das wertvollste europäische Softwareunternehmen. Auch wurde TeamViewer, ansässig in Göppingen, in Baden-Württemberg gegründet. Im deutschen Ranking von Unicorns gibt es ein weiteres Start-up, welches im ‚Ländle‘ basiert ist: Volocopter. Der erste Volocopter-Flug in einer europäischen Stadt: Stuttgart.“ Mit der Gründung des Cyber Valley in Baden-Württemberg im Raum Stuttgart-Tübingen im Jahr 2016 möchte das Land einen weiteren Innovationscampus schaffen. „Zusammen mit der Max-Planck-Gesellschaft, der Universität Stuttgart und Tübingen sowie den ansässigen, bekannten und forschungsgetriebenen Unternehmen Bosch, Porsche, ZF Friedrichshafen und Mercedes-Benz/Daimler sowie weiteren internationalen Unternehmen wie Amazon und BMW soll dieser Innovationscampus europaweit führend sein“, unterstreicht von Richter. Hier bestehe ein enormes Potenzial für Baden-Württemberg, sich weiter technologisch zu etablieren und neue Entwicklungstrends, auch im Bereich KI, zu definieren. „Neue Technologien im Bereich Crypto/Web3 könnten auch dazu zählen.“

Wissenschaftler in die Wirtschaft

Aktuell stehen vier von elf deutschen Exzellenzuniversitäten in Baden-Württemberg. Dazu kommen Kaderschmieden wie das erwähnte KIT in Karlsruhe oder, im Hochschulbereich, die ESB in Reutlingen. „Jetzt müssen wir den Spin-off-Turbo zünden und wissenschaftliche Ausgründungen konsequent auf die Überholspur setzen“, ermutigt Pioniergeist-Chef Adrian Thoma, „etwa durch die Gründermotor-Initiative, auf der alle beteiligten Stakeholder in Baden-Württemberg vereint an einem Strang ziehen: Landespolitik, Universitäten und Hochschulen, Corporates, Intermediäre und Investoren.“ Schlussendlich, sagt Ulrike Hudelmaier vom TFU – TechnologieFörderungsUnternehmen GmbH, hänge es von den Leuten ab.

Ulrike Hudelmaier, TFU
Ulrike Hudelmaier, TFU

„Viele Wissenschaftler sind zu unerfahren in Gründungsfragen. Die Herausforderung liegt nicht nur in der Generierung von Venture Capital, sondern auch in den Fragen: Was fange ich mit dem Geld an? Und wie generiere ich die Folgefinanzierung?“ Gründungszentren seien bereits seit den 1980er-Jahren installiert, lediglich das Thema „Start-up“ erfahre seit einigen Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit. An Beratern für Start-up-Gründungen herrsche derweil kein Mangel, die Zahl der Gründungen selbst müsse allerdings merklich erhöht werden. „Wir brauchen auch keine weitere akademische Zusatzausbildung für Neugründer. Vielmehr müssen wir individuelle Unterstützung leisten können, am besten 24/7‘“, unterstreicht Hudelmaier. Die Region ist traditionell stark mittelständisch geprägt, was Ausgründungsmöglichkeiten massiv erhöht. „Denn das häufig beschworene Fremdeln zwischen Start-ups und Mittelstand kann ich nicht erkennen“, so Hudelmaier. Firmen wie Stumpf oder Stihl, einst klassische Mittelständler und heute längst Global Player, engagieren sich in der Förderung von Start-ups. Hudelmaier wünscht sich umgekehrt noch mehr Berührungspunkte zwischen Corporates und jungen Unternehmen. „Hier treten die Mentalitätsunterschiede zuweilen offener zutage.“ 

Fazit

Etwas entfernt von den großen Start-up-Hotspots mag es in Baden-Württemberg auf den ersten Blick etwas gemächlicher zugehen. „Die Politik macht schon viel, und wir als Szene würden uns vor allem eines wünschen: eine solide Basisfinanzierung“, schließt Thoma. Leider müsse immer wieder um eine funktionierende und wirksame Frühphasenfinanzierung und Unterstützungseinrichtungen gekämpft werden. „Da braucht es endlich eine nachhaltige Finanzierung im Haushalt. Zudem wäre die Installation eines Dachfonds der nächste logische Schritt auf der Finanzierungsseite, um die Wagniskapitalinfrastruktur im Land zu stärken, ohne sich als Land zu sehr in die Rolle des Investors zu begeben – das sollte nämlich besser der Markt übernehmen.“