„CVCs agieren mittlerweile auf Augenhöhe mit Venture Capital-Gesellschaften“

Interview mit Enrico Reiche, PwC Deutschland & Prof. Dr. Dirk Honold, Technische Hochschule Nürnberg

Enrico Reiche, PwC & Prof. Dr. Dirk Honold, Technische Hochschule Nürnberg
Enrico Reiche, PwC & Prof. Dr. Dirk Honold, Technische Hochschule Nürnberg

Bildnachweis: PwC, Technische Hochschule Nürnberg.

Zum dritten Mal in Folge haben Prof. Dr. Dirk Honold von der Technischen Hochschule Nürnberg, PwC Deutschland und Venture Analytics in ihrer Venture Capital-Studie Investoren zur aktuellen Marktsituation befragt. Nach dem Rekordjahr 2021 stand diesmal das Krisenjahr im Fokus.

VC Magazin: Welche Stimmung haben Sie unter den Investoren wahrgenommen?

Honold: Ich freue mich, dass dieses Jahr noch mehr Venture Capital-Fonds und Corporate Venture Capital (CVC)-Einheiten an unserer Umfrage teilgenommen haben – auch dank der Unterstützung des Bundesverbands Beteiligungskapital. Viele Fonds haben gerade erfolgreich Kapital eingeworben. Zudem sind wir im Vergleich zu früheren Krisen, wie dem Platzen der Dotcom-Blase oder der Lehman Brothers-Pleite, heute besser aufgestellt. Die Assetklasse hat grundlegend mehr Unterstützung und ist nicht mehr wegzudenken. Zugleich werden wir Übertreibungen, wie sie 2021 teilweise zu beobachten waren, weniger sehen. Fundamental gute Arbeit hat trotz des raueren Klimas enormes Potenzial. Daher ist die Stimmung der Investoren besser als vielleicht öffentlich wahrgenommen.

VC Magazin: Ab Februar verschlechterte sich bedingt durch die geopolitischen Änderungen die Stimmung der Investoren. Wie haben sich das Bewertungsniveau und das Verhandlungsklima ihrer Studie zufolge entwickelt?

Reiche: 2021 war ein Rekordjahr für den deutschen Venture Capital-Transaktionsmarkt. Im Zuge der geopolitischen Situation fordern Investoren aktuell jedoch höhere Renditen. Für Early Stage Investments stiegen die Renditeanforderungen im Mittel von 30% im Vorjahr auf 36%. Für Transaktionen, die vor Februar 2022 zwar unterzeichnet, aber nicht abgeschlossen wurden, senkten die Beteiligten in 34% der Fälle die ursprünglich vereinbarte Bewertung. Dennoch beeinträchtigt dieses Marktumfeld den Dealflow nicht. Vielmehr sehen wir, dass Anleger und Start-ups Finanzierungsrunden verschieben und das Investitionsvolumen sinkt. Zudem zeigen sich Investoren weitaus weniger verhandlungsbereit bei der zugrunde liegenden Bewertung oder dem angestrebten Volumen der Finanzierungsrunde.

VC Magazin: Welche regulatorischen Themen beschäftigen die Investoren am stärksten?

Honold: Die Mitarbeiterbeteiligung ist ein dringendes Thema, wie die Studienergebnisse zeigen. Wir müssen in Deutschland international wettbewerbsfähige und einfache Gestaltungen ermöglichen, um Talente zu gewinnen und zu halten. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie dies im Zukunftsfinanzierungsgesetz umgesetzt wird. Ein weiteres Thema sind die Investitionsbeschränkungen nach dem deutschen Außenwirtschaftsgesetz. Für 25% der Befragten sind diese ein entscheidender Faktor in der relevanten Later Stage. Glücklicherweise konnten wir mit den Ergebnissen unserer letzten Studie bereits mit dazu beitragen, dass die Begrenzungen bei der letzten Erneuerung des Außenwirtschaftsgesetzes moderat ausgefallen sind. Generell müssen wir noch stärker daran arbeiten, die Finanzierungskette auf nationaler Ebene zu schließen – und zwar vollständig und auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau.

VC Magazin: Der Exit-Markt gestaltete sich im letzten Jahr aufgrund des fehlenden Börseninteresses schwieriger. Welche Kanäle wurden von den Investoren am stärksten genutzt?

Reiche: Korrekt, Börsengänge gab es 2022 nicht. Aktuell sieht es zudem nicht danach aus, dass sich daran kurzfristig etwas ändert. Exits in Form von Unternehmensverkäufen und -zusammenschlüssen gibt es zwar weiterhin, jedoch in geringerer Zahl. Speziell bei kapitalintensiveren Geschäftsmodellen beobachte ich verstärkt Druck, Kosten zu reduzieren, um zu strukturieren und zu konsolidieren.

Honold: Der Pull-Effekt durch Exits im Ökosystem wird am meisten unterschätzt. So trifft der Rückgang der IPOs die Venture Capital-Fonds sogar umso stärker, da die finanziell erfolgreichsten Exits in der Regel durch Börsengänge erfolgen – dies haben unsere Ergebnisse erneut bestätigt. Die durch die Bundesregierung geplante Aktienrente ist ein Hoffnungsschimmer, doch es sind weitere Maßnahmen notwendig, um sowohl die Bewertungen als auch die Liquidität an den europäischen Börsen wesentlich zu verbessern.

VC Magazin: Der CVC-Markt ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen, auch viele kleinere Mittelständler engagieren sich in diesem Umfeld. Erwarten Sie krisenbedingt eine Konsolidierung?

Reiche: Es ist ein sehr erfreulicher Trend für den Venture Capital-Markt, dass immer mehr Unternehmen eigene CVC-Einheiten aufbauen, um sich stärker an Innovationen zu beteiligen. Dieses Wachstum zeigt sich auch an unserer Umfrage: Erstmals haben mehr CVCs als VCs daran teilgenommen. Es lässt sich möglicherweise eine gewisse Zurückhaltung der CVCs bei Investitionen im Gleichlauf mit den übrigen Akteuren im Markt beobachten. Eine Konsolidierung sehe und erwarte ich aktuell jedoch nicht. Durch eine gute Investmentstrategie können CVCs derzeit von dem investorenfreundlicheren Marktumfeld und den niedrigeren Bewertungen profitieren.

VC Magazin: Ihrer Studie zufolge erhalten bei den CVCs nur 30% der Investmentmanager eine Gewinnbeteiligung in Form eines Carried Interest, bei den klassischen Venture Capitalisten hingegen sind es 90%. Was führt zu diesem großen Unterschied?

Honold: Zunächst ist dieses Ergebnis stimmig mit der unterschiedlichen Governance von Venture Capitalisten und CVCs: Bei Venture Capital-Gesellschaften haben wir ein stärker unternehmerisch geprägtes Handeln feststellen können. Ein Grund dafür ist, dass sich die General Partner von Venture Capital-Gesellschaften auch mit Kapital beteiligen. Ein CVC kann zudem eine strategische Zielsetzung haben, die sich im Vergleich zu der rein finanziellen Rendite eines Venture Capital-Fonds deutlich schwerer beeinflussen und messen lässt. Das erschwert zumindest die Ausgestaltung eines Carried Interest. CVCs agieren aber mittlerweile auf Augenhöhe mit Venture Capital-Gesellschaften und sind im Ökosystem als Partner für den gemeinsamen Erfolg nicht mehr wegzudenken, sodass eine weitere Angleichung bei der Vergütung in Zukunft vernünftig erscheint.

VC Magazin: Haben Sie Erkenntnisse gewonnen, wie sich die Krisen auf den Branchenfokus der Investoren auswirken? Welche Branchen liegen dieses Jahr besonders im Trend?

Reiche: Zwar stehen die Bereiche Software as a Service und Softwareentwicklung weiterhin im Fokus der Anleger, doch die Ergebnisse zeigen: Im Zuge der aktuellen Krisen ist das Interesse an Climatetechlösungen ähnlich hoch. Deutlich mehr Investoren als in der Vorgängerstudie gaben an, diesen Bereich als Investitionsschwerpunkt zu betrachten. Ich erwarte, dass diese Relevanz durch die zunehmende Dringlichkeit, die Klimakrise zu bewältigen, hoch bleibt und sowohl Venture Capital-Firmen als auch CVC-Einheiten verstärkt in diesen Sektor investieren.

VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie in Bezug auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei der Fondsstrukturierung und Portfolioauswahl in den kommenden fünf Jahren?

Reiche: Der Markt gibt aktuell schon eine starke Ausrichtung auf Nachhaltigkeit in Investments vor. Diese Entwicklung ist von neuen Regulierungen getrieben, beispielsweise von der Sustainable Finance Disclosure Regulation der Europäischen Union. In der Praxis bedeutet dies, dass themenübergreifend Nachhaltigkeitsfaktoren in den Investmentkriterien eine immer wichtigere Rolle spielen. Diese Marktbewegung wird aus meiner Sicht fortbestehen und flächendeckend werden.

Honold: Ich teile diese Einschätzung und erwarte, dass Venture Capital-Gesellschaften künftig verstärkt einen guten Gleichklang von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit suchen. Dies wird zu längeren Investmenthorizonten sowie entsprechend längeren Fondslaufzeiten oder mehr Evergreen-Strukturen führen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Zu den Interviewpartnern:

Mit über 14 Jahren Erfahrung in der Transaktionsberatung ist Enrico Reiche derzeit Co-Lead des Venture Deals-Teams, Leiter des Raise Programms bei PwC und Co-Lead des CVC Center of Excellence von PwC.

Seit rund 25 Jahren ist Prof. Dr. Dirk Honold als CFO, Unternehmer und Coach für Start-ups tätig und sitzt in diversen Aufsichtsräten und Beiräten. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die Stärkung des Ökosystems der Start-up-Finanzierung durch Innovationsfinanzierung, Venture Capital und Corporate Venture Capital sowie auf wertorientierte Führung mit Zukunftspotenzial.