Healthcare und Life Sciences stehen vor einer Neuerfindung

Gründungen und Investments in Biowissenschaften

Mathias Klozenbücher, FCF Fox Corporate Finance
Mathias Klozenbücher, FCF Fox Corporate Finance

Bildnachweis: FCF Fox Corporate Finance.

Gesundheitssysteme weltweit müssen effizienter werden, Big Data ermöglicht der Pharmaindustrie neue Therapieansätze, digitale Healthtech-Lösungen erlauben neue Businessmodelle – jetzt ist die Zeit, in Healthcare und Life Sciences zu gründen und zu investieren.

Gründungen und Investitionen in den Healthcare- und Life Sciences-Bereichen waren schon immer herausfordernd: Es handelt sich um eine streng regulierte Industrie mit vielen Auflagen, langen Entwicklungszeiten und hoher Kostenstruktur. Und das nicht ohne Grund – schließlich geht es um die Gesundheit, und nicht jedes Medikament hat die gewünschte Wirkung. Langfristige klinische Studien verschlingen allerdings Hunderte Mio. EUR und dauern zehn Jahre oder länger. Verglichen mit anderen Investitionsgebieten wie Tech oder Marketplaces stellen Start-ups im Healthcare- und Life Sciences-Bereich aufgrund eines größeren Investitionsvolumens daher oft ein höheres Risiko dar. Das kann Investoren und Gründer abschrecken. es gibt Ansätze im Healthcare und Life Science, vor Markteintritt Umsätze zu generieren – gerade im Biotech-Bereich mit der Auslizenzierung eines Teils der Portfolios oder durch Auftragsarbeiten. Zudem können bei digitalen Healthcare-Lösungen die Regulierungen oft komplett umgangen werden; in Medical Devices sind die Auflagen meist geringer und Studien kürzer.

Healthcare Revolution

Die Menschen werden älter, Gesundheitssysteme sind so teuer geworden, dass sie nicht mehr tragbar sind. So kostete die Gesundheitsversorgung die USA im Jahr 2021 4,3 Bio. USD, sprich 18,3% vom BIP. Dadurch steigt auch der Druck auf die Pharmaindustrie: Die Zeit der
Blockbuster Drugs ist vorbei. Medikamente, die zum Teil nur die Hälfte der Menschen ansprechen, sind lange nicht mehr ausreichend. Zulassungsbehörden wie die FDA drängen darauf, Pharmatherapien zu entwickeln, die bei fast jedem Patienten anschlagen – sogenannte Precision Medicine Approaches. Ermöglicht wird das oft über die Genetik. Patienten mit einer bestimmten genetischen Mutation, die ein hohes Ansprechen auf eine Therapie aufweisen, werden im Vorhinein identifiziert. Das bekannteste Beispiel hierfür sind wohl HER2 und Herceptin für die Behandlung von Brustkrebs. Das heißt aber auch, dass die Pharmaindustrie kleinere Patientengruppen mit ihren gezielten Medikamenten anspricht – es sinken die Umsatzpotenziale bei oft ähnlichen Entwicklungskosten.

Analyse genetischer Datenansätze als neuer Markt

Um vor der Therapieentwicklung Patientenpopulationen weltweit und damit das Markt-potenzial zu evaluieren, braucht es Zugang zu großen genetischen Datensätzen. Diese werden oft über länderspezifische Sequenzierungsprojekte wie Genomics England (GEL) oder All of US Research (USA) bereit gestellt. Die Daten ermöglichen gleichzeitig die Entwicklung neuer Therapieansätze. Die digitalen Zugänge sind relatives Neuland für Pharma. Plötzlich werden Genetiker, Bioinfomatiker, Data Scientists und Developer gebraucht, die mit (genomischer) Analysesoftware hantieren, bevor es ins Labor geht. Das öffnet einen neuen Markt für innovative Start-ups, die sich auf Biomedical Data Analysis, Functional Genomics oder Digital Therapy Design fokussieren. Diese Firmen ermöglichen nicht nur Precision Medicine, sondern haben auch das Potenzial, Entwicklungszeiten bei Pharma durch Digitalisierung massiv zu verkürzen.

Healthtech: Start-up-Idee mit überschaubarem Kapitalaufwand

Für Gründer gibt es darüber hinaus ein weiteres Feld ohne lange Entwicklungszeiten
und mit überschaubarem Kapitalaufwand: Katalysiert durch die COVID-19-Pandemie wurde die Gesundheitsversorgung digitaler. Viele Patienten wollten und konnten nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus. Die Versicherungen mussten – endlich – reagieren und haben digitale Ansätze, wie Telemedizin, bezahlt, die zuvor viele Jahre abgewehrt worden waren. Die Healthtech-Industrie floriert, ihre innovativen Businessmodelle ermöglichen Zugang zu Ärzten, Verschreibungen, Medikamenten und digitalen Therapiemöglichkeiten. Dieses Feld wird zunehmend kompetitiver und verlangt nach klarer Differenzierung.

Healthcare Information Systems: Veraltete Systeme bereit für eine Disruption

Die Integration und generelle Verbesserung von Healthcare-Informationssystemen wie Hospital-, Laboratory- oder Radiology Information Systems (HIS, LIS, RIS) bietet mittels Effizienzsteigerung großes Potenzial, hohe Kosten einzusparen. Diese Insellösungen sind im Krankenhaus oft über 20 Jahre alt und es fehlt an Integration, Fähigkeit zum Datenaustausch zwischen Systemen und Ease of Use. Zusammen mit KI für bessere klinische Diagnose findet die Disruption hier jetzt statt.

Gründungen in den Life Sciences

Oft kommen Neugründungen in dem Bereich Healthcare und Life Sciences aus der Universität, einem Thinktank oder einem Inkubator. Speziell im Biotech-Bereich findet Innovation meist in der Grundlagenforschung ihren Anfang. Zu Beginn gibt es oft nur eine Idee oder ein Konzept, ein oder zwei Gründer und (hoffentlich) Patente, die den Ansatz beschreiben und schützen. Die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung können jedoch hoch sein: Denn gerade in der klassischen Medikamentenentwicklung werden der Zugang zu einem Labor (oft mit Zertifizierung), teure Geräte, Naturwissenschaftler, Regulatorikexperten und immer häufiger auch Experten für klinische genetische Datensätze, Computational Biology, Data Science, Genetik und Statistik benötigt.

Förderung für den Start nötig

Das bedeutet einen hohen Kapitalaufwand, um überhaupt starten zu können. Förderungen, Risikokapital, Family Offices oder strategische Geldgeber sind zwingend notwendig – wenngleich Kapitalgeber abgesehen von der öffentlichen Förderung in sehr frühen Phasen nur schwer zu mobilisieren sind. Gründer sollten daher alle zur Verfügung stehenden Förderungs-optionen in Deutschland und der EU ausschöpfen, um den Proof-of-Concept zu erreichen. Am Anfang empfiehlt es sich, auch Zugang zu einer Infrastruktur wie einem Labor über einen Partner zu sichern. Das können zum Beispiel Universitäten oder ein Inkubator sein.

Finanzierung

Sobald der Proof-of-Concept erreicht ist, geht es darum, den nächsten Meilenstein zu realisieren: die Finanzierung des Unternehmens durch Fremdkapital. In der Seed-Phase eines Start-ups sollten Business Angels oder Family Offices in Betracht gezogen werden. Gerade im Healthcare-Bereich haben diese Investoren häufig eine persönliche oder strategische Bindung zu einer bestimmten Indikation, oft mehr Idealismus und weniger harte Wachstums- und/oder Wertsteigerungsbedingungen als ein klassischer Venture Capitalist. Dafür schreiben sie allerdings meist auch kleinere Ticketgrößen aus. Der klassische Wagniskapitalgeber hingegen verspricht seinen Investoren einen hohen Return und sucht immer nach dem nächsten Fund Returner. Es kann daher vorkommen, dass Gründer in eine Richtung gepuscht werden, in die sie nicht unbedingt gehen wollen, zum Beispiel Wachstum um jeden Preis. Für größere Finanzierungsrunden hingegen sind Venture Capital-Gesellschaften sicher der ideale Partner.

Fazit

Healthcare und Life Sciences haben so viel Potenzial wie noch nie. Digitalisierung, AI, Genomics, Prevention, Diagnostics, Personalized Medicine, Digital Therapy, Molecular Testing und Healthtech sind absolute Wachstumsgebiete und haben durch COVID einen Boost erfahren. Zudem findet gerade ein globaler und unaufhaltsamer Shift aufgrund der enormen Kosten vieler Gesundheitssysteme statt. Nahezu monatlich kommen neue spezialisierte Healthcare- und Life Sciences-Investoren in den Markt mit zum Teil riesigen Investmentfonds. Eine spannende Zeit in Healthcare und Life Sciences. Die Art, wie wir Prävention, Diagnostik, und Therapie machen, ändert sich gerade auf allen Ebenen. Das wird die Gesundheits-versorgung stark verändern und verbessern. Healthcare und Life Sciences sind Arbeit aus Überzeugung und der Einstiegszeitpunkt war noch nie so spannend wie jetzt.

Zum Autor:

Mathias Klozenbücher ist als Managing Director bei FCF Fox Corporate Finance zuständig für Healthcare und Life Sciences. Er ist Genetiker und arbeitete als Healthcare Executive in den USA, als Venture Capitalist in Europa und war im Management eines Silicon Valley Start-ups in der Bay Area.