„Unternehmen tragen große Verantwortung für mentale Gesundheit“

Interview mit Dr. Christopher Gröning, Betriebsarztservice

Dr. Christopher Gröning, Betriebsarztservice (c) Ralph Penno
Dr. Christopher Gröning, Betriebsarztservice (c) Ralph Penno

Bildnachweis: Ralph Penno.

Mentale Gesundheit spielt am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle. Dr. Christopher Gröning von Betriebsarztservice berichtet wie Unternehmen, insbesondere Gründer und Unternehmer, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter fördern können.

 VC Magazin: Warum ist die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz aus geschäftlicher Sicht so wichtig?
Gröning: Produktive Arbeit setzt eine gute Gesundheit voraus, in all ihren Facetten, physisch sowie psychisch. Je nach Tätigkeitsschwerpunkt ist die Beanspruchung zwar unterschiedlich ausgeprägt, nichtsdestotrotz wirkt in jeder Person ein System aus zahlreichen Faktoren. Insbesondere die mentale Gesundheit stellt hier einen wesentlichen Faktor dar und steht im Zusammenhang mit anderen Faktoren wie z.B. Motivation, Engagement, Zufriedenheit, Leistung, Produktivität oder Unternehmensbindung. Diese wiederum wirken sich auf den Unternehmenserfolg aus. Mentale Gesundheit darf daher nicht nur als Konsequenz von Belastungen gesehen werden, sondern auch als wichtige Voraussetzung.

VC Magazin: Welche konkreten Herausforderungen können sich für Unternehmen, insbesondere für Startups, in Bezug auf die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter ergeben?
Gröning: Unternehmen tragen eine große Verantwortung in Bezug auf die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden, da sie großen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen ihrer Belegschaft nehmen können. Insbesondere Startups stehen aufgrund spezifischer Eigenschaften vor besonderen Herausforderungen, wie beispielsweise eine hohe Dynamik, welche zu kurzfristigen Veränderungen oder eingeschränkter Planbarkeit führen kann. Ein immer relevanteres Thema für Start-Ups, im Kontext der Etablierung einer Arbeitskultur, ist das Thema Remote Work, in Deutschland auch Home-Office genannt. Beschreiben Mitarbeitende auch Vorteile, wie beispielsweise Wegfall des Arbeitsweges, entstehen gleichzeitig neuartige Herausforderungen, wie asynchrone Kommunikation, erschwerter Informationsfluss oder soziale Isolation. Fehlen Mitarbeitenden entsprechende Ressourcen oder Bewältigungsstrategien, kann sich dies negativ auf die mentale Gesundheit auswirken und beispielsweise Krankheitsbilder wie Depressionen begünstigen.

VC Magazin: Welche Maßnahmen können Gründer und Unternehmen ergreifen, um die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter von Anfang an zu fördern?
Gröning: Wichtig ist es das Thema mentale Gesundheit von Anfang an mitzudenken und auf die Agenda zu setzen. In der Praxis erleben wir, dass mentale Gesundheit weiterhin in vielen Unternehmen ein Tabuthema mit viel Stigmatisierung darstellt. Es wird selten bis gar nicht über das Thema intern kommuniziert. Ein transparenter Umgang mit mentaler Gesundheit ist Teil einer gesunden und förderlichen Unternehmenskultur. Vor allem sollte hier vorausschauend auf Prävention gesetzt und nicht ausschließlich reaktiv auf offensichtliche Probleme gehandelt werden. Gleichzeitig nehmen aktuelle Ereignisse und Veränderungen ebenfalls eine Rolle ein. Zum Beispiel kann die globale Situation großen Einfluss auf die Psyche nehmen, was unter anderem die kürzliche Corona-Pandemie, oder aktuelle politische Konflikte wie in der Ukraine oder Israel gezeigt haben. Hier können Austausch mit Psycholog:innen oder generelle psychosoziale Angebote einen großen Mehrwert bieten.

VC Magazin: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Führungskräfte und Manager in der Lage sind, die mentale Gesundheit ihrer Teams zu unterstützen?
Gröning: Sensibilisierung und Wissen spielen gerade für Führungskräfte beim Thema mentale Gesundheit eine zentrale Rolle. Führungskräfte sollten sich kompetent und sicher fühlen das Thema offen und zielgerichtet in ihren Teams besprechen zu können. Fehlt Sensibilisierung oder Wissen, kann es schnell zur Tabuisierung des Themas führen. Werden Führungskräfte hingegen zu dem Thema geschult, können Sie aktiv Präventionsarbeit leisten. Kennen sie beispielsweise Determinanten mentaler Gesundheit, können sie diese stellenweise positiv mitbeeinflussen. Ebenso kann eine rechtzeitige Früherkennung belasteter oder auffälliger Mitarbeitenden erreicht werden.

VC Magazin: Gibt es bewährte Praktiken, die zeigen, wie erfolgreiche Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter priorisieren?
Gröning: In der Praxis erleben wir vor allem die Wirksamkeit von Sensibilisierung und gleichzeitiger Entstigmatisierung bezüglich Förderung mentaler Gesundheit. Eine proaktive Kommunikation des Themas sollte fest in der Unternehmenskultur verankert werden. Viele Unternehmen bieten beispielsweise niederschwellige kostenlose psychologische Sprechstunden für ihre Mitarbeitenden an. Mental Health wird aktiv thematisiert an dedizierten Gesundheitstagen oder anderen Aktionen wie ein “Mental Health Month”, bei dem es regelmäßig Vorträge und Austausch zu mental Health Themen gibt. Ebenso sollten Facetten mentaler Gesundheit regelmäßig gemessen sowie Maßnahmen zu Förderung dieser evaluiert werden.

VC Magazin: Wie können Unternehmen die Wirksamkeit ihrer Bemühungen zur Förderung der mentalen Gesundheit messen und evaluieren?
Gröning: Da mentale Gesundheit von außen betrachtet nur unzuverlässig erfasst werden kann, sollten immer auch die Mitarbeitenden einbezogen werden. In der Praxis werden hierzu unterschiedliche Methoden eingesetzt, wie beispielsweise Workshops, Interviews oder die klassischen Mitarbeitendenbefragungen. Hiermit können, je nach Instrument, die unterschiedlichsten Facetten und Determinanten mentaler Gesundheit der Mitarbeitenden erfasst werden, wie beispielsweise Zeitdruck, emotionale Belastung, soziale Konflikte oder psychosomatische Beschwerden. Je spezifischer und reliabler die Messung, desto passgenauer und erfolgsversprechender können entsprechende Maßnahmen zur Förderung mentaler Gesundheit ermittelt werden. Auch die Gesetzgebung hat die Wichtigkeit der Förderung mentaler Gesundheit verankert und die Pflicht einer Beurteilung psychischer Belastungen inklusive Förderungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber in das Arbeitsschutzgesetz aufgenommen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Zum Autor:
Dr. Christopher Gröning setzt sich als Arbeitspsychologe bei Betriebsarztservice für die Etablierung besserer Arbeitsbedingungen und mentaler Gesundheit für Mitarbeitende in Unternehmen ein. Er berät und unterstützt Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeitende verschiedenster Branchen und Größen zu Themen der Arbeitspsychologie.