Beteiligungsbranche setzt auf Deeptech

Zukunftstechnologien im Blick

Markus Mrachacz (Bayern Kapital), Andreas Unseld (UVC Partners) & Florian Theyermann (FCF Fox Corporate Finance)
Markus Mrachacz (Bayern Kapital), Andreas Unseld (UVC Partners) & Florian Theyermann (FCF Fox Corporate Finance)

Bildnachweis: Bayern Kapital, UVC Partners, FCF Fox Corporate Finance.

Ob Kernfusion, Quantencomputer oder Biotech: nach dem großen Run auf KI-Start-ups haben die Investoren bereits neue Zielmärkte entdeckt und hoffen auf revolutionäre Durchbrüche. Das Deeptech-Segment hat sich bei den jüngsten Marktturbulenzen als Fels in der Brandung erwiesen.

Deeptech ist eine Herausforderung für Investoren, es lässt sich kaum mit User-Zahlen und Umsätzen bewerten. Aber Deeptech verspricht Innovationen für die Zukunft. Das macht die Sache so schwierig und verheißungsvoll zugleich: Denn Deeptech entwickelt die Grundlagen für spätere Anwendungen. „Mit Deeptech meinen wir Unternehmen, die Innovationen schaffen, die technologische Maßstäbe übertreffen und so die Grenzen der aktuellen Technologie verschieben“, sagt Markus Mrachacz, Geschäftsführer von Bayern Kapital. „Mit der Etablierung einer solchen Technologie entwickelt sich also auch das weiter, was unter dem Begriff ‚Deeptech‘ verstanden wird.“ Es ist ein breites Spektrum von Technologien und Forschungszweigen, das sich unter der Kategorie sammelt. Der Deep Tech Report 2023 von Lakestar, Dealroom und Walden Catalyst zählt unter anderem auf: Raumfahrttechnologie, Nanorobotik, Proteindesign, Batterietechnologie und Ambient Computing.

Erfolge bei Kernfusion und Quantencomputer

Andreas Unseld, General Partner bei UVC Partners, setzt große Hoffnung auf die Kernfusion. „Die Verschmelzung zweier Atomkerne verspricht saubere Energie in nahezu unerschöpflichen Mengen“, begründet er. Das physikalische Prinzip wurde zwar schon 1917 entdeckt, doch die praktische Anwendung zur Energiegewinnung galt bislang als Utopie, weil bei Versuchen stets mehr Energie eingesetzt werden musste, als am Ende damit gewonnen wurde. Erst vor zwei Jahren gelang es in einem Laborversuch in den USA, eine positive Energiebilanz zu erzielen. Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und Greifswald wird bereits seit den 1950er-Jahren an der Kernfusion geforscht. Das Start-up Proxima Fusion ist im vergangenen Jahr dort als Ausgründung entstanden und hat im April bei seiner Seed-Finanzierungsrunde 20 Mio. EUR eingesammelt. Auch UVC Partners und Bayern Kapital sind daran beteiligt, denn Proxima Fusion arbeitet an einem Durchbruch zur industriellen Umsetzung der Kernfusion und sieht sich mit seinen innovativen Stellaratoren auf dem besten Weg.

Themen für Generationen von Forschern

Auch der Quantencomputer beschäftigt bereits Generationen von Forschern. Seit rund 50 Jahren wird experimentiert, doch die Anwendung steckt noch immer in der Versuchsphase. Der Zukunftsrechner kann komplexe Aufgaben um ein Vielfaches schneller lösen als die modernsten Supercomputer, doch die meist hohe Fehlerquote ist nach wie vor eine Herausforderung für die Entwickler. Das Münchner Start-up Planqc macht nun den Venture Capital-Investoren Hoffnung. Planqc hat nämlich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt den Auftrag erhalten, bis Ende 2026 einen Quantencomputer mit mehr als 100 Qubits zu entwickeln, der auch reibungslos arbeitet. In den kommenden Jahren wird sogar eine Steigerung der Qubit-Zahl bis zu 100.000 erwartet. Ein Qubit als Informationseinheit ist ähnlich dem Bit beim herkömmlichen Computer – allerdings speichert ein Qubit im binären System von null und eins nicht nur eine Position, sondern kann beide gleichzeitig abbilden. Im Juli sammelte Planqc in seiner Series A-Finanzierungsrunde 50 Mio. EUR ein. Damit wollen die Gründer einen Quantencomputer-Clouddienst sowie Quantencomputersoftware entwickeln, die in Industriebranchen wie Chemie, Gesundheit, Klimatechnologie und Finanzen ihre Anwendung finden sollen.

Pionierarbeit im Biotech-Segment

In der Biotechnologie leistet das litauische Start-up Biomatter Pionierarbeit beim Design neuer Proteine und Enzyme. Mithilfe von KI entwickelt das Team maßgeschneiderte Enzyme für die Agrarwirtschaft, Medizin, Chemie- und Lebensmittelindustrie. Unseld ist vom Ansatz des UVC-Portfoliounternehmens überzeugt. Als ebenso aussichtsreich sieht er die bereits patentierte Technologie auf Brennstoffzellenbasis des bayerischen Start-ups Reverion. Die Gründer versprechen, mit ihrem Ansatz den elektrischen Wirkungsgrad von Biogasanlagen von derzeit 40% auf 80% verdoppeln zu können. Bayern Kapital setzt in seinem Portfolio auch auf die Innovationsansätze in der Luft- und Raumfahrt. Reflex Aerospace entwickelt mit seinen auf KI und dem 3-D-Druck basierenden Verfahren eine schnellere Produktion von Satelliten, die auf individuelle Kundenwünsche zugeschnitten sind und eine hohe Flexibilität bieten. Isar Aerospace baut eine kommerzielle Kleinrakete für den Transport von kleinen und mittleren Satelliten und Sonden ins Weltall.

Technische Fortschritte durch KI beschleunigt

Grundlegende technologische Entwicklungen dieser Art sind immer mit hohen Risiken für die Venture Capital-Investoren verbunden. „Sie sind langwierig, kapitalintensiv und brauchen deshalb neben langen Fondslaufzeiten Investoren mit einem langen Atem“, konstatiert Mrachacz. UVC-Partner Unseld verweist auf den gravierenden Unterschied zu Investments in andere Tech-Start-ups. „Im Deeptech-Bereich ist es tendenziell schwieriger, die Bewertung eines Unternehmens einzuschätzen – denn die üblichen Parameter wie Nutzerzahlen, Umsätze, Wachstum können erst in späteren Unternehmensphasen relevant werden. Venture Capitalisten im Deeptech-Bereich benötigen eine hohe technische Expertise und viel Erfahrung, um Entwicklungsfortschritte von grundlegenden Technologien richtig einzuschätzen.“ Doch die technischen Fortschritte hätten sich in den vergangenen zehn Jahren beschleunigt, ergänzt Mrachacz: „Die massiven Entwicklungen im Chip-, Computerleistungs- und AI-Bereich beschleunigen den Entwicklungsprozess, und die Entwicklungszyklen bei Deeptech werden kürzer.“ Viele Deeptech-Start-ups seien als Spin-offs aus Universitäten und Forschungseinrichtungen entstanden. Sie beruhten häufig auf jahrelangen Forschungen, die den Ausgründungen vorausgingen.

ESG mehr Chance als Herausforderung

Florian Theyermann, Managing Director Deeptech von Fox Corporate Finance (FCF), kennt einen weiteren Vorteil, den Deeptech-Beteiligungen für Investoren zu bieten haben: „Venture Capital-Fonds sehen sich zunehmend mit den ESG- und Impact-Zielen ihrer Investoren konfrontiert. Für Deeptech-Themen ergeben sich daraus oft mehr Chancen als Herausforderungen“, hat er festgestellt. „Denn Deeptech umfasst Verticals wie Cleantech, neuartige Energien und Climatetech, die von Natur aus positive Environmental- und Climate Impacts haben. Ebenso gehören dazu Biotech, Foodtech und Agtech, die oft nicht nur einen Climate Impact, sondern auch Verbesserungen in der Lebensmittelsicherheit und Ressourceneffizienz bieten. Auch Novel Materials tragen häufig zu einem positiven Umwelteinfluss und zu Ressourceneffizienz bei.“ Den positiven Effekt für Mensch und Natur beobachtet auch Unseld. „Die Rendite ist nicht das Alleinige, was zählt. Viele Anleger, vor allem Family Offices, wollen mit ihrem Geld etwas bewegen, etwas Nützliches hervorbringen. Das ist im Moment schon als ein Trend zu erkennen.“

Deeptech auf Platz Eins

Im Deeptech-Bereich können Wünsche nach einer sauberen Umwelt, nach Ressourceneffizienz und Klimaschutz wahr werden. Vielversprechende Projekte stehen in der Pipeline. Das schafft Vertrauen in das Segment. Im vergangenen Jahr haben sich auf dem Venture Capital-Markt die Beteiligungen an Deeptech-Start-ups als klarer Stabilitätsanker erwiesen. Während das gesamte Venture Capital-Funding 2023 europaweit um 38% einbrach, erlitt die Kategorie Deeptech nur leichte Einbußen von 5%. Nach den Zahlen des Deeptech-Reports war das Segment der Zukunftstechnologien mit einem Funding-Volumen von 14,7 Mrd. EUR damit das größte auf dem gesamten europäischen Venture Capital-Markt. Gegenüber dem Spitzenjahr 2021 zeigt aber auch dieses Ergebnis einen deutlichen Abschlag um rund 30%. Von den Turbulenzen auf dem Gesamtmarkt kann sich auch der Deeptech-Bereich nicht völlig abkoppeln. Das aktuelle Bewertungsniveau der Beteiligungen liege weiterhin deutlich unter den Werten von 2021/22, schätzt Theyermann. „Gründer und bestehende Investoren sehen sich mit Verwässerungen von rund 30% konfrontiert.“ Bayern Kapital-Chef Mrachacz hingegen sieht die Bewertungen seit Mitte vergangenen Jahres wieder auf dem Höhenflug. „Sie haben mittlerweile wieder das Niveau von vor dem Einbruch erreicht oder je nach Segment sogar übertroffen.“ Der Markt profitiere teilweise noch von großen Fonds, welche vor dem Einbruch aufgelegt wurden, ergänzt Unseld. Jetzt erwarteten viele Investoren Rückflüsse aus dieser Fondsgeneration, welche häufig noch auf sich warten ließen, gibt er zu bedenken. Wie sich dies auf den zukünftigen Zufluss von Mitteln in das Venture Capital-Segment auswirke und damit indirekt die Bewertungen der Start-ups beeinflusse, bleibe abzuwarten. Und dennoch: Im August erst hat UVC Partners für seinen vierten Fonds 250 Mio. EUR eingesammelt – der Schwerpunkt liegt auf Deeptech. Mit gerade sechs Monaten war dies das schnellste Fundraising seit der Gründung des Unternehmens 2011. Das Interesse der Anleger ist offenbar groß.