Bildnachweis: Osborne Clarke, VC Magazin.
Auf politischer Ebene herrscht sowohl in Deutschland als auch weltweit derzeit reichlich Bewegung. Dana Alpar, Rechtsanwältin bei Osborne Clarke, gibt einen Marktüberblick und schaut dabei auch auf die Auswirkungen der US-Politik auf den Start-up-Standort Deutschland, regionale Hotspots und Techtrends.
VC Magazin: Zollpolitik und die geopolitischen Auseinandersetzungen stellen die hiesige Wirtschaft und Finanzwelt vor Herausforderungen. Wie bewerten Sie den Start-up-Standort Deutschland derzeit, welche Chancen sehen Sie?
Alpar: Die derzeitige geopolitische Lage stellt zweifellos eine Herausforderung für die globale Wirtschaft dar, und Deutschland ist hiervon nicht ausgenommen. Dennoch bietet der Start-up-Standort Deutschland weiterhin Chancen und bleibt attraktiv für Gründer und Investoren. Insbesondere die aktuellen politischen Bewegungen in Deutschland, auf die wir später noch zu sprechen kommen, geben dabei Anlass zur Hoffnung. Die sich derzeit bildende Regierung und auch der Koalitionsvertrag haben sich für die Start-up-Welt viel vorgenommen. Gerade wegen der volatilen Situation in den USA wird Deutschland aufgrund seiner rechtlich stabilen Lage ein noch attraktiverer Standort für Start-ups sein. Sogenannte Flips in die USA sind nun mit größeren Risiken verbunden, sodass es für Start-ups vorteilhaft sein könnte, sich auf Europa zu fokussieren. Die Herausforderungen durch geopolitische Spannungen können zudem Unternehmen dazu bringen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und innovative Lösungen zu entwickeln. Startups, die sich auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und neue Technologien konzentrieren, haben hier besonders gute Aussichten.

VC Magazin: Welche Regionen in Deutschland sehen Sie als Hotspots, welche Hidden Champions sollten im Blick behalten werden?
Alpar: Als absoluten Start-up-Hotspot sehen wir natürlich nach wie vor Berlin aufgrund des dynamischen und kreativen Umfelds. Hier wird viel gegründet, hier sitzen viele nationale und internationale Investoren, und die Start-up-Szene kommt hier zusammen. Aber auch München ist ein Start-up-Hotspot, den man nicht vergessen darf. Grundsätzlich gibt es aber natürlich viele kleinere Hotspots. Brandenburg profitiert nicht nur von seiner „Berlinnähe“, sondern bietet auch viele Accelerators und öffentliche Förderprogramme für junge Gründer an. Da mittlerweile auch viele Universitäten Gründerprogramme haben oder zumindest Veranstaltungen dazu anbieten, breitet sich dieses Feld auch immer weiter aus.
VC Magazin: Life Sciences, Deeptech und KI sind seit letztem Jahr wieder stärker in den Fokus der Investoren gerückt. Auf welche Technologietrends setzen Investoren derzeit, was wird im zweiten Halbjahr besonders spannend werden?
Alpar: Investoren haben in den letzten Jahren zunehmend Interesse an Technologien gezeigt, die das Potenzial haben, grundlegende Veränderungen in verschiedenen Branchen zu bewirken. Life Sciences, Deeptech und Künstliche Intelligenz sind dabei ausdrücklich hervorzuheben, da diese Branchen als „krisenresistent“ gelten. Auch Cybersecurity und Defencetech sind aufgrund der internationalen politischen Lage hoch im Kurs. Insgesamt ist zu beobachten, dass Investoren derzeit auf Technologien setzen, die transformative Auswirkungen auf verschiedene Branchen haben und gleichzeitig Herausforderungen unserer heutigen Welt adressieren, sei es der demografische Wandel mit einer durchschnittlich immer älter werdenden Bevölkerung in Deutschland oder der Krieg in der Ukraine.
VC Magazin: Wie bewerten Sie das aktuelle Preis- und Bewertungsniveau am Markt?
Alpar: Das aktuelle Bewertungsniveau ist von verschiedenen Faktoren geprägt und kann je nach Branche und Region unterschiedlich ausfallen. Generell lässt sich jedoch feststellen, dass wir uns in einer Phase befinden, in der die Bewertungen vieler Start-ups wieder steigen. Im Technologie- und Innovationssektor sehen wir besonders hohe Bewertungen, da Investoren auf das zukünftige Wachstumspotenzial dieser Unternehmen setzen. Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie und Nachhaltigkeitstechnologien sind hierbei besonders gefragt.
VC Magazin: Wie groß bewerten Sie die Gefahr der Abwanderung deutscher Start-ups, gerade vor dem Hintergrund zurückhaltender Investoren und fehlenden Wachstumskapitals?
Alpar: Natürlich besteht immer die Gefahr, dass Start-ups aufgrund gewisser Faktoren
abwandern. Insbesondere die bürokratischen Hürden in Deutschland und die mangelnde
Digitalisierung sind da große Themen. Eine Zurückhaltung bei Investoren herrscht aber gerade überall. Dennoch: Die Abwanderung von Start-ups kann langfristig negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben, da innovative Ideen und Talente verloren gehen. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass in Deutschland mehr Wachstumskapital zur Verfügung gestellt wird und Deutschland seine Förderprogramme weiter ausbaut und optimiert, um den Bedürfnissen von Start-ups gerecht zu werden. Dies könnte beispielsweise durch die Schaffung von speziellen Wachstumsfonds oder durch steuerliche Anreize für Investoren geschehen. In Deutschland oder auch in Europa ist für Gründungsphasen gutes Geld da, aber wenn es irgendwann um reines Wachstum geht und um Hunderte Mio. EUR, da ist der europäische Kapitalmarkt schwächer. Andererseits bietet Deutschland wiederum einen stabilen Rechtsmarkt an, mit dem die USA – zumindest derzeit – nicht mithalten können.
VC Magazin: CDU und SPD sind sich einig, die große Koalition steht. Welche Erwartungen haben Sie an die Regierung hinsichtlich Verbesserungen des Start-up- und Venture Capital-Standorts Deutschland?
Alpar: Dass Start-ups unter der Überschrift „Innovationsschub für die Wirtschaft“ im
Wirtschaftsteil des Koalitionsvertrags direkt an erster Stelle genannt werden, werte ich als ein positives Zeichen. Man merkt, dass die Regierung sich das Thema „Startups“ auf die wirtschaftspolitische Agenda gesetzt hat. Das freut mich sehr, aber es kommt natürlich am Ende auf die Umsetzung an. Beispielsweise Bürokratieabbau durch digitale Prozesse, One-Stop-Shop für Gründungen innerhalb von 24 Stunden, Digitalisierung notarieller Vorgänge und die Verbesserung steuerlicher Regelungen für Mitarbeiterbeteiligungen halte ich aber für vielversprechend. Durch diesen positiv klingenden Koalitionsvertrag wurden jetzt allerdings auch konkrete Erwartungen geweckt; insbesondere Bürokratieabbau und Erleichterungen bei der Gründung sehe ich als sehr sinnvoll an für einen ersten Schritt.
VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie bezüglich der Venture Capital-Investments in der zweiten Jahreshälfte?
Alpar: Ich gehe davon aus, dass sich gerade im Hinblick auf die Regierungsbildung in Deutschland und den nun vorgestellten Koalitionsvertrag viel tun wird. Somit sind meine Erwartungen für Venture Capital-Investments in der zweiten Jahreshälfte trotz der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten grundsätzlich positiv. Viele Venture Capital-Fonds haben in den letzten Jahren erhebliche Mittel eingesammelt und sind nun bereit, diese zu investieren. Zudem suchen institutionelle Investoren und Family Offices nach attraktiven Renditemöglichkeiten, was den Zufluss von Kapital in den Venture Capital-Markt unterstützt. Die Pandemie hat die Digitalisierung und Innovation in vielen Bereichen beschleunigt. Start-ups, die Lösungen für die neuen Herausforderungen bieten, wie etwa Remote-Arbeit und Telemedizin, sind besonders gefragt. Zudem suchen Investoren weiterhin nach Start-ups, die ESG-Kriterien erfüllen. Investoren werden weiterhin auf Unternehmen setzen, die sich diesen veränderten Bedingungen anpassen und innovative Lösungen anbieten.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Über die Interviewpartnerin:
Dana Alpar berät bei Osborne Clarke nationale und internationale Investoren, Fonds, technologiegesteuerte Unternehmen und Start-ups von der Gründung bis zum Exit bei Venture Capital und M&A Transaktionen sowie anderen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Beratung von Venture Capital-Fonds, Start-ups und großen Unternehmen aus dem Technologiebereich.