Status quo Investitionsstandort Deutschland – Chancen und Investmenttrends

Sentiment

Sebastian Pyzalski (D11Z. Ventures), Sebastian Böhmer (First Momentum), Alexander Kölpin (seed + speed) & Claas Heise (NRW.Bank)
Sebastian Pyzalski (D11Z. Ventures), Sebastian Böhmer (First Momentum), Alexander Kölpin (seed + speed) & Claas Heise (NRW.Bank)

Bildnachweis: D11Z. Ventures, First Momentum, seed + speed, NRW.Bank, VC Magazin.

VC Magazin: Wie nehmen Sie den Venture Capital-Standort Deutschland im europäischen Vergleich derzeit wahr?

Sebastian Böhmer, Founding Partner, First Momentum: Der Standort für Venture Capital-Aktivitäten hat sich inzwischen wieder auf einem neuen Normal eingependelt – nach den exzessiven Phasen während der Coronazeit. Neue Fonds werden aufgelegt, wie auch unser First Momentum Ventures Fund II, wenn auch in deutlich geringerer Anzahl. Insgesamt ist das Investitionsvolumen weiterhin rückläufig und hat sich im vergangenen Jahr auf einem stabilen Niveau eingependelt. Im innereuropäischen Vergleich beobachten wir, dass Frankreich deutlich mehr Dynamik entfaltet, insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz. Zudem zeichnet sich ein klarer Trend zu vermehrten Deeptech-Investitionen ab; mittlerweile entfällt mehr als ein Drittel der Venture Capital-Investitionen in Deutschland auf diesen Bereich.

Dr. Claas Heise, Abteilungsleiter Venture und Seed Capital, NRW.Bank: Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen, wo wir von der NRW.Bank aktiv sind, sind im europäischen Vergleich solide aufgestellt. Der hiesige Venture Capital-Markt zeigt sich trotz eines herausfordernden Umfelds aktiv und robust. Eine positive Entwicklung ist, dass größere Finanzierungsrunden zunehmend häufiger zustande kommen. Das stärkt die Attraktivität des Standorts.

Alexander Kölpin, Gründer und Geschäftsführer, seed + speed: Der Risikokapitalstandort Deutschland ist in meiner Wahrnehmung stark. Trotz widriger Umstände gibt es weiterhin Fondsneugründungen, und bestehende Fonds investieren in gutem Tempo. Dass einige Fonds es nicht schaffen (werden), Folgefonds einzuwerben, ist dabei für mich schon einberechnet.

Sebastian Pyzalski, Investment Manager, D11Z. Ventures: Deutschland hat im europäischen Vergleich 2025 aufgeholt: Die Investitionen stiegen 2024 um 17% auf 6,7 Mrd. USD. Besonders Kl-Start-ups zogen mit 1 ,4 Mrd. USD Rekordsummen an, Climatetech-Start-ups sind ebenfalls stark im Aufwind. Programme wie der 12 Mrd. EUR schwere Zukunftsfonds stärken das Ökosystem. Dennoch bestehen strukturelle Schwächen – etwa bei Wachstumskapital, Exits (nur elf IPOs europaweit im Jahr 2024) und regulatorischen Hürden. Großbritannien bleibt führend, vor allem durch aktives Engagement institutioneller Investoren. Deutschland braucht mehr Kapital und Vereinfachung, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

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VC Magazin: Welche Branchentrends sehen Sie hierzulande, was liegt besonders im Trend?

Böhmer: Der Bereich rund um Künstliche Intelligenz erfährt derzeit eine enorme Nachfrage von Investorenseite. Die Investitionsbereitschaft ist ausgesprochen hoch, und die Erwartungen an Geschäftsmodelle und Skalierbarkeit sind teils grenzenlos. Gleichzeitig mangelt es weiterhin an Wachstumskapital, insbesondere von europäischen Kapitalgebern – ein Umstand, der angesichts der veränderten geopolitischen Lage besonders ins Gewicht fällt. Darüber hinaus beobachten wir einen klaren Trend hin zu Investitionen in sogenannte European Resilience-Themen. Auch der Verteidigungsbereich gewinnt an Relevanz: Hier sind zunehmend staatliche oder teilstaatliche Akteure aktiv, etwa der European Investment Fund oder der NATO Innovation Fund.

Heise: Im Fokus stehen vor allem Start-ups in den Bereichen Deeptech, Halbleitertechnologie, Künstliche Intelligenz, Spacetech und Energie. Diese Trends spiegeln zentrale gesellschaftliche Entwicklungen wider – von der Digitalisierung bis zur Klimatransformation. So haben wir in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel junge Unternehmen wie cylib aus Aachen, wo das Batterierecycling vorangetrieben wird, oder Black Semiconductor, ebenfalls aus Aachen, wo es um eine schnellere Datenübertragung von Mikrochips geht. Im Zuge sicherheitspolitischer Neuausrichtung erwarten wir, dass der Bereich Defencetech zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.

Kölpin: Nur oberflächlich ESG-orientierte oder Nice-to-have-Themen haben es schwerer; andere Themen wie Cybersecurity, Manufacturing und Robotics erfahren hohe Aufmerksamkeit. Nicht nur aus Venture Capital-Sicht ist das Thema AI natürlich omnipräsent – mit allen Chancen, aber eben auch mit der Unsicherheit, die damit einhergeht, dass man alle zwei bis drei Monate in der AI neue Meilensteine erreicht und damit neue Prognosen braucht. Als Venture Capitalist investiert man nicht ins Jetzt, sondern auf die nächsten zwei bis drei Jahre hinaus, schlussendlich sogar in Themen und Teams, die für mehr als zehn Jahre führend sein müssen. Diese Prognosen waren zum letzten Mal vor einem Vierteljahrhundert so schwer zu erstellen, zur Zeit der New Economy der Jahrtausendwende.

Pyzalski: 2025 dominieren in Deutschland besonders Kl, Climatetech und Defencetech das Venture Capital-Geschehen. Kl-Start-ups sammelten 2024 rund 1,4 Mrd. USD ein, Software-Neugründungen stiegen um 35%. Defencetech wird deutlich relevanter, da geopolitische Spannungen und Europas sicherheitspolitischer Aufholbedarf Investitionen in digitale Verteidigungslösungen begünstigen – zum Beispiel Helsing mit 450 Mio. EUR.

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VC Magazin: Wie bewerten Sie den aktuellen Venture Capital-Markt hinsichtlich Einstiegspreisen bei Finanzierungsrunden und auch mit Blick auf Exit-Optionen?

Böhmer: Nach den jüngsten politischen Entwicklungen bleibt das IPO-Fenster weiterhin geschlossen, und die Durststrecke, die nach den Hochphasen während der Coronapandemie eingesetzt hat, hält an. In vielen Sektoren stellen derzeit weniger die Einstiegspreise das zentrale Problem dar – vielmehr fehlt es an Liquidität aufgrund ausbleibender Exit-Aktivitäten. Das Schwungrad im Venture Capital-Ökosystem dreht sich spürbar langsamer. Besonders für kleinere und mittelgroße Fonds wird das Fundraising durch fehlende Exits zunehmend zur Herausforderung. Wir sehen eine Zunahme an Trade Sales, allerdings auch regulatorische Eingriffe, die Exits erschweren. Ein prominentes Beispiel ist die gescheiterte Übernahme von Figma durch Adobe in den USA, die durch Wettbewerbsbehörden blockiert wurde. Zudem beobachten wir eine starke Konzentration bei Finanzierungsrunden – noch ausgeprägter als vor der Pandemie. Besonders im Bereich Künstliche Intelligenz entsteht derzeit eine potenzielle Blase: Wachstumsrunden erfolgen hier auf Basis völlig anderer Bewertungsmaßstäbe und Erwartungshaltungen als im restlichen Venture Capital-Markt. In den USA erreichen KI-Start-ups zum Teil binnen weniger Monate Milliardenbewertungen – teils mit rasantem Umsatzwachstum, teils jedoch ohne belastbares Geschäftsmodell oder technologische Differenzierung. Diese überzogenen Erwartungen bergen das Risiko signifikanter Ausfälle, sollten sie nicht erfüllt werden.

Heise: Die Bewertungen bei Finanzierungsrunden in Deutschland beurteile ich insgesamt als fair und angemessen, in besonders attraktiven Sektoren auch mal als selbstbewusst bis sportlich. Und was die Exit-Optionen angeht: Im Tech-Bereich erleben wir aktuell, dass sich prospektive Käufer etwas mehr zurückhalten. Im Life Sciences-Bereich gibt es dagegen „business as usual“.

Kölpin: Die Rundenhöhen und vor allem Bewertungshöhen scheinen wieder anzuziehen, sind aber meist noch weit von den Fantasiepreisen der letzten Jahre entfernt. Gleichzeitig sind leider noch viel zu wenige Exit-Optionen für reifere Start-ups erkennbar; insbesondere die Zukunft des IPO-Kanals ist für die kurze und mittlere Frist völlig unklar.

Pyzalski: Die Bewertungen in Finanzierungsrunden sind zwar realistischer als 2021, doch eine Vielzahl von Seed-DeaIs liegt mit ARR-MuItipIes von 20x oder mehr weiterhin deutlich zu hoch und basiert auf der Annahme von jährlichen Wachstumsraten von 300% und mehr in den ersten Jahren. Die Schere zwischen Einstiegspreis und realistischem Exit klafft immer noch weit auseinander: Während Fundraising-Multiples ambitioniert sind, liegen Exit-Multiples häufig nur bei 5x bis 8x. Bei stagnierenden Wachstumsraten lassen sich häufig nur Exit-Multiples von 2x bis 3x erzielen, und es drohen damit deutliche Wertverluste für Investoren und Gründer.

VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie an die Große Koalition hinsichtlich der Rahmenbedingungen für Venture Capital und Private Equity?

Böhmer: Die Ausweitung des Zukunftsfonds auf 100 Mrd. EUR ist ein positives Signal.
Entscheidend ist jedoch, dass der Fokus nicht allein auf eine stärkere staatliche Beteiligung
im Wagniskapitalbereich gelegt wird. Vielmehr sollte das Ziel darin bestehen, institutionelle
Privatinvestoren zu mobilisieren und für Allokationen in europäisches Venture
Capital zu gewinnen. Der Staat kann hier mit gutem Beispiel vorangehen – etwa durch
die strategische Ausrichtung eigener Kapitalsammelstellen wie dem Fonds zur kerntechnischen Entsorgung (KENFO). Viele dieser Investoren agieren derzeit ohne einen sogenannten Home Bias, der bei privaten Kapitalgebern selbstverständlich ist. Eine stärkere inländische Investitionsorientierung würde gezielt den Standort Europa stärken. Wir begrüßen außerdem die geplante Stärkung weiterer Schlüsselakteure wie der Bundesagentur für Sprunginnovationen, die insbesondere Deeptech-Start-ups direkt unterstützen kann. Zudem braucht es eine umfassende Reform des Vergaberechts: Derzeit werden Start-ups bei öffentlichen Ausschreibungen kaum berücksichtigt. Ein europäisches „SpaceX“ wäre unter diesen Rahmenbedingungen nie möglich gewesen. Um technologische Souveränität und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen hier dringend neue Impulse gesetzt werden – insbesondere in sicherheits- und luftfahrtrelevanten Sektoren.

Heise: Wir unterstützen insbesondere die im Koalitionsvertrag vereinbarten Pläne zum Bürokratieabbau. Es ist wichtig, bürokratische Prozesse zu vereinfachen und die Digitalisierung stärker zu nutzen, um für mehr Tempo bei Gründungen und Investitionen zu sorgen.

Kölpin: Die Start-up- und Finanzierungsthemen sind an mehreren Stellen im Koalitionsvertrag genannt, unter anderem mit besseren Kapitalzuflussmöglichkeiten in Venture Capital-Fonds, vieles scheint gut. Allerdings ist für mich die entscheidende Frage, ob es gelingt, wieder verlässliche und wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen für die gesamte Wirtschaft zu schaffen. Davon profitieren unsere Start-ups am meisten, denn deren Kunden sind zum großen Teil am Anfang deutsche Unternehmen, die Gegenwind von der deutschen Politik und aus Übersee spüren. Meine Erwartungen richten sich vor allem auf die Themen Energiepolitik, Steuern und Abgaben sowie echten Bürokratieabbau.

Pyzalski: Der Koalitionsvertrag setzt mit dem Bekenntnis zur Digitalisierung, Entbürokratisierung und einem Ziel von 3% des BIP in F&E wichtige Impulse. Doch die größte Schwachstelle bleibt: Für B- und C-Runden fehlt es weiterhin an Kapital. Hier braucht es klare Strategien, um beispielsweise Pensionsfonds stärker in Venture Capital einzubinden.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

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