Eigene Software schützen – bevor es andere tun

Warum Softwarepatente für Start-ups und Investoren entscheidend werden

Dr. Philipp Rüfenacht & Mirko Schade (Keller Schneider)
Dr. Philipp Rüfenacht & Mirko Schade (Keller Schneider)

Bildnachweis: Keller Schneider.

Software ist skalierbar, aber ebenso leicht kopierbar. Dennoch fehlt in vielen Start-ups eine durchdachte Schutzstrategie – dabei steigt der Wettbewerbsdruck rasant. Patentierungen im Bereich Software und Künstliche Intelligenz legen europaweit stark zu. Für Gründer und Investoren ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zu prüfen, was patentierbar ist – und warum sich das lohnt.

Innovationen im Softwarebereich entstehen häufig unter großem Zeitdruck, sind technisch anspruchsvoll und haben hohes Marktpotenzial. Dennoch wird ihre Schutzwürdigkeit im Unternehmensalltag oft unterschätzt. Während physische Assets wie Maschinen oder Prototypen selbstverständlich gesichert werden, fehlt bei rein digitalen Entwicklungen häufig eine vergleichbare Absicherung. Besonders im Softwarebereich kursiert zudem ein hartnäckiger Irrglaube: Software sei grundsätzlich nicht patentierbar. Diese Annahme ist längst überholt – und unternehmerisch riskant.

Patentierte Software dominiert das Innovationsgeschehen

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: „Computer Technology“ – unter anderem Softwarelösungen, Machine Learning und Mustererkennung – war im Jahr 2024 mit 16.815 Anmeldungen erstmals das patentstärkste Technologiefeld beim Europäischen Patentamt. KI-bezogene Erfindungen legten im gleichen Zeitraum um 10,6% zu. Bereits 2023 wurde mit mehr als 2.000 KI-bezogenen Patentanmeldungen ein neuer Höchstwert erreicht. Die Zahlen des Deutschen Patent- und Markenamts zeigen einen ähnlichen Trend: In den Kernbereichen der Künstlichen Intelligenz, wie neuronalen Netzen oder Lernverfahren, hat sich die Anzahl der veröffentlichten Anmeldungen seit 2019 mehr als verdreifacht. Über die letzten fünf Jahre hinweg wurden KI-bezogene Erfindungen zum Haupttreiber des Wachstums in der Softwarepatentierung – mit durchschnittlich 28% jährlich. Die zunehmende Relevanz spiegelt sich somit nicht nur in der technologischen Entwicklung wider, sondern auch in der strategischen Absicherung dieser Innovationen.

Was sich an Software patentieren lässt

Trotz der Dynamik bleibt häufig unklar, was sich an Software tatsächlich schützen lässt. Während der Quellcode in der Regel durch das Urheberrecht abgesichert ist, zielt die Patentierung auf die technische Wirkung einer Erfindung. Schutzfähig ist eine Software dann, wenn sie ein konkretes technisches Problem auf neuartige und erfinderische Weise löst. Beispiele hierfür sind etwa KI-gestützte Analyseverfahren für medizinische Bilddaten, adaptive Steuerungsprozesse im Energiemanagement oder neuronale Netzwerke zur Optimierung automatisierter logistischer Abläufe. Entscheidend ist, dass der technische Charakter der Lösung erkennbar ist. Die Schutzfähigkeit sollte in einer frühen Entwicklungsphase fachlich geprüft werden – auch, um eine Veröffentlichung ohne vorherige Anmeldung zu vermeiden.

KI-Patentierung bringt neue Herausforderungen

Gerade bei KI-Anwendungen zeigt sich die Komplexität der Patentierung besonders deutlich. Viele Systeme funktionieren als Blackbox – ihre Entscheidungsprozesse sind nicht immer nachvollziehbar. Daraus ergeben sich Fragen zur Offenlegungspflicht, zur Nachweisbarkeit von Patentverletzungen und zum Schutz geschäftskritischer Trainingsdaten. Europäische Patentämter reagieren darauf zunehmend differenziert: Entscheidend ist, ob die KI-Technologie eine konkrete technische Aufgabe löst – etwa die automatisierte Bildanalyse in der Medizintechnik oder die Optimierung industrieller Steuerungsprozesse. Ansätze wie erklärbare KI oder der Einsatz synthetischer Daten gewinnen im Zusammenhang mit der Schutzfähigkeit zusätzlich an Bedeutung.

Wettbewerbsvorteil für technologiegetriebene Start-ups

Für Start-ups, deren Geschäftsmodell auf innovativen Softwarelösungen basiert, bietet ein wirksames Patentportfolio einen essenziellen Wettbewerbsvorteil. Patente schützen nicht nur vor Nachahmung, sondern schaffen zudem Exklusivität und erhöhen die strategische
Verhandlungsposition gegenüber Partnerunternehmen, Lizenznehmern oder Kapitalgebern. Gerade in kapitalintensiven und regulierten Märkten, etwa in der Medizintechnik, sind Patente oftmals Voraussetzung für Kooperationen oder Marktzugang. Im Rahmen von
Finanzierungsrunden signalisieren eingetragene Schutzrechte ein strukturiertes Vorgehen und sichern das geistige Eigentum ab, das den Unternehmenswert maßgeblich beeinflusst. Start-ups können den Prozess intern unterstützen, indem sie beispielsweise zentrale
Ansprechpersonen für IP benennen oder Tools zur Identifikation schutzwürdiger Entwicklungen einsetzen.

Intellectual Property als Prüfstein für Investoren

Auch aus Investorensicht ist der Umgang mit Schutzrechten ein zentrales Kriterium. Ein Start-up mit technologischem Fokus, das keine Schutzstrategie verfolgt, weist nicht nur eine potenzielle Risikolücke auf, sondern könnte im späteren Exit-Prozess auch an Wert verlieren. Im Vergleich dazu bietet ein robustes IP-Set-up Schutz vor Nachahmung und gleichzeitig zusätzliche Chancen zur Monetarisierung, beispielsweise durch Lizenzvergabe oder Joint Ventures. Darüber hinaus dient es als Indikator für Innovationsfähigkeit, strategische Reife und professionelles Management. In einer Due Diligence besonders zu beachten ist, ob es sich um erteilte Patente oder lediglich Anmeldungen handelt, ob relevante Märkte abgedeckt sind und ob Freedom to Operate-Analysen durchgeführt wurden. Eine solide IP-Basis kann über den Erfolg oder Misserfolg einer Beteiligung entscheiden. Investoren sollten vor einem Investment also zwingend eine IP-Due-Diligence durchführen.

Timing entscheidet über den Schutzumfang

Ein häufiger Fehler in der Praxis ist der späte Zeitpunkt der Patentanmeldung. Sobald eine Softwarelösung veröffentlicht oder gegenüber Dritten kommuniziert wurde, kann die erforderliche Neuheit verloren gehen – und mit ihr die Möglichkeit zur Patentierung. Auch die internationale Schutzstrategie lässt sich nur dann effektiv steuern, wenn frühzeitig Prioritäten gesetzt werden. Die Fristen des europäischen oder internationalen Patentsystems (zum Beispiel PCTVerfahren) bieten hierbei Spielräume, die jedoch ohne fundierte Vorbereitung schnell verpuffen. Start-ups sollten daher bereits bei der Entwicklung von Minimum Viable Products juristische Beratung einholen und evaluieren, welche Elemente der Innovation tatsächlich schutzfähig sind. Häufige Fehler wie eine zu enge Anspruchsformulierung, eine lückenhafte technische Beschreibung oder fehlende interne Prozesse zur Identifikation von IP können den langfristigen Schutz erheblich beeinträchtigen.

Patente als Rückgrat digitaler Wertschöpfung

Software ist nicht nur der Kern moderner Geschäftsmodelle, sie ist auch ein schützenswerter Vermögenswert. In einer globalisierten und digitalisierten Ökonomie sind technische Alleinstellungsmerkmale zunehmend entscheidend für den nachhaltigen Markterfolg. Patentstrategien schaffen nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern ermöglichen auch Wachstum, Differenzierung und monetäre Skalierung. Für technologieorientierte Start-ups ebenso wie für investierende Gesellschaften gilt daher: Der Schutz der Software darf nicht Nebensache sein. Er ist vielmehr Grundvoraussetzung für zukunftsfähige Innovation.

Über die Autoren:

Dr. Philipp Rüfenacht ist diplomierter Physiker und seit 2005 Patentanwalt mit Spezialisierung auf Softwarepatente. Er ist Partner der Keller Schneider Patent- und Markenanwälte mit Standorten in Bern, Zürich und München.

Mirko Schade ist geschäftsführender Partner bei Keller Schneider Patent- und Markenanwälte sowie Geschäftsführer des Rechercheunternehmens Integrate IP und berät Unternehmen zu Intellectual Property, IT und Technologie. Sein Fokus liegt insbesondere auf der effektiven Nutzung von KI-Projekten.