Warum die Baukrise Nachfolgeentscheidungen beschleunigt

Aufgeschobene Nachfolge wird zum Verkaufszwang. Patrick Seidler, Managing Partner bei S&B Strategy.
Aufgeschobene Nachfolge wird zum Verkaufszwang. Patrick Seidler, Managing Partner bei S&B Strategy.

Bildnachweis: S&B Strategy, VentureCapital Magazin, Pixabay.

Die Krise bremst Immobilienprojekte und zwingt viele Unternehmer, sich früher als geplant mit der eigenen Nachfolge zu befassen. Was lange als familiäre Übergangsfrage galt, wird unter wirtschaftlichem Druck zur nüchternen Abwägung. „Ein externer Verkauf bietet häufig eine deutlich attraktivere wirtschaftliche Perspektive als eine interne Übergabe.“ Patrick Seidler ist Managing Partner bei S&B Strategy und begleitet seit Jahren M&A-Transaktionen im Bau- und Infrastruktursektor. Im Interview erklärt Seidler, wie sich Entscheidungslogiken verschieben, warum Transparenz zum Engpass wird – und weshalb die Branche vor einer Konsolidierung steht, die weniger laut, aber umso nachhaltiger ausfällt.

VC Magazin: Herr Seidler, Ihre M&A-Bau-Champions-Studie zeigt, dass die Bauwirtschaft trotz schwachem Marktumfeld strukturell wächst – vor allem getrieben von M&A-Aktivität. Wie stark beeinflusst der zunehmende Nachfolgeausfall im Bau- und Handwerkssektor die aktuelle Deal- und Target-Landschaft?

Seidler: Der zunehmende Nachfolgeausfall ist inzwischen einer der zentralen Treiber der M&A-Aktivität im Bau- und Handwerkssektor. Viele Unternehmer finden weder innerhalb der Familie noch im bestehenden Management eine tragfähige Nachfolgelösung. In der Konsequenz steigt die Bereitschaft, sich mit einem Verkauf an externe Investoren oder strategische Käufer auseinanderzusetzen. Die Ursachen sind vielfältig: Nachfolgegenerationen verfügen heute über deutlich mehr berufliche Alternativen, gleichzeitig sind regulatorische Anforderungen, Professionalisierung und operative Komplexität in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Hinzu kommt, dass ein externer Verkauf häufig eine deutlich attraktivere wirtschaftliche Perspektive bietet als eine interne Übergabe. Insgesamt führt dies zu einer strukturellen Ausweitung des Deal-Flows und einer wachsenden Zahl qualitativ hochwertiger Targets – auch in einem insgesamt schwächeren Marktumfeld.

VC Magazin: Laut Studie stammen 61 % der mittleren und großen Deals aus dem Bauzuliefererbereich. Was unterscheidet M&A-Prozesse im Bau- und Bauzulieferumfeld von klassischen Transaktionen – etwa bei Due Diligence, Bewertung oder Integration?

Seidler: M&A-Transaktionen im Bau- und insbesondere im Bauzulieferumfeld unterscheiden sich in mehreren Punkten von klassischen Industrie- oder Dienstleistungstransaktionen. Ein zentraler Aspekt ist die Datenverfügbarkeit: Viele Unternehmen sind operativ sehr stark, werden aber noch vergleichsweise pragmatisch geführt. Entsprechend sind Datenqualität, Reporting-Tiefe und Transparenz häufig begrenzt, was die Due Diligence anspruchsvoller macht.

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Diese eingeschränkte Transparenz wirkt sich unmittelbar auf die Bewertung aus – etwa durch höhere Risikoabschläge oder konservativere Annahmen bei Margenstabilität und Cashflow-Planung. Gleichzeitig liegt hierin oft auch ein erhebliches Wertsteigerungspotenzial.

In der Integration zeigt sich dann der größte Unterschied: Erfolgreiche Transaktionen hängen weniger von der Einführung neuer Systeme als von der Akzeptanz auf Mitarbeiterebene ab. Gerade in handwerks- und projektgeprägten Strukturen ist es entscheidend, die Belegschaft früh mitzunehmen und den Nutzen von Professionalisierung, Softwarelösungen und digitalen Prozessen klar zu vermitteln. Ohne diesen kulturellen Fit scheitern Integrationen in der Bauwirtschaft häufig.

VC Magazin: Ihre Analyse kategorisiert die Branche in Marktführer, Marktaktivisten, Marktstabilisierer und Traditionalisten. Welche dieser Gruppen profitieren am stärksten vom aktuellen Konsolidierungsdruck – und welche geraten in Gefahr, von PE- oder Corporate-Buy-and-Build-Strategien überrollt zu werden?

Seidler: Am stärksten profitieren Marktführer und Marktaktivisten. Beide Gruppen nutzen den aktuellen Konsolidierungsdruck aktiv, um über gezielte M&A-Transaktionen Marktanteile zu gewinnen. Sie verfügen in der Regel über eine klar definierte M&A-Strategie, professionelle Strukturen und eine solide Finanzbasis – und können damit sowohl als Plattformen für Buy-and-Build-Strategien fungieren als auch selbst Opportunitäten schnell umsetzen.

Marktstabilisierer bewegen sich in einem Übergangsbereich: Sie sind operativ oft stabil aufgestellt, laufen jedoch ohne strategische Weiterentwicklung Gefahr, den Anschluss zu verlieren und zunehmend selbst zu Übernahmekandidaten zu werden. Am stärksten unter Druck stehen die Traditionalisten. Geringe M&A-Aktivität, fehlende Professionalisierung und in vielen Fällen rückläufige Umsatz- oder Marktdynamik machen sie besonders anfällig. Entsprechend geraten sie verstärkt in den Fokus von Private-Equity-Investoren und strategischen Käufern, die sie gezielt als Add-on-Zukäufe im Rahmen von Buy-and-Build-Strategien adressieren.

VC Magazin: PE-Investoren gelten traditionell als zurückhaltend gegenüber der Bauindustrie. Ihre Zahlen weisen jedoch attraktive EBITDA-Margen und stabile EK-Quoten (~44 %) aus. Wie verändert diese Kombination aus Stabilität und Professionalität die Attraktivität des Sektors für Finanzinvestoren?

Seidler: Wir beobachten zunehmend, dass Private-Equity-Investoren die Bauindustrie neu bewerten. Attraktive und zugleich nachhaltige EBITDA-Margen in Kombination mit soliden Eigenkapitalquoten sprechen für eine hohe strukturelle Stabilität der Geschäftsmodelle. Gleichzeitig liegen die zentralen Hebel für Value Creation häufig weniger in aggressivem Leverage als in Professionalisierung – insbesondere in den Bereichen Datentransparenz, Prozesse und Steuerungslogik. Diese Kombination aus defensiven Eigenschaften und operativem Upside macht den Sektor für Finanzinvestoren deutlich attraktiver als noch vor einigen Jahren. Ergänzend wirkt das Infrastrukturpaket der Bundesregierung als zusätzlicher Katalysator, da es die Visibilität von Nachfrage und Cashflows weiter erhöht. Insgesamt verschiebt sich die Wahrnehmung der Bauindustrie damit von einem zyklischen Risikosektor hin zu einem investierbaren, skalierbaren Markt mit langfristiger Perspektive.

VC Magazin: Große Baukonzerne wie Holcim, Sika und SFS setzen laut Ihrem Ranking klar auf M&A als Wachstumsmodell. Welche strategischen Motive stehen hinter dieser Welle an Buy-and-Build-Aktivitäten – Kapazitätssicherung, Technologiezugang, neue Märkte?

Seidler: Unsere Analyse zeigt, dass die aktuelle Buy-and-Build-Welle bei großen Baukonzernen auf einer Kombination aller drei Motive beruht – mit unterschiedlicher Gewichtung je nach Geschäftsmodell. Bei stark regional geprägten Akteuren wie Holcim steht vor allem die Sicherung lokaler Kapazitäten und der direkte Marktzugang im Vordergrund. Akquisitionen dienen hier dazu, Präsenz in einzelnen Regionen zu vertiefen und die operative Nähe zum Kunden zu sichern. Bei stärker technologie- und produktgetriebenen Unternehmen wie Sika oder SFS spielen neben der geografischen Expansion insbesondere der Zugang zu neuen Technologien, Systemlösungen und
Spezialkompetenzen eine zentrale Rolle. M&A wird gezielt eingesetzt, um Innovationszyklen zu verkürzen und bestehende Plattformen strategisch zu ergänzen.
Übergreifend lässt sich festhalten, dass M&A für diese Konzerne weniger opportunistisches Wachstum ist, sondern ein klar orchestriertes Instrument zur langfristigen Sicherung von Marktposition, Wertschöpfungstiefe und Wettbewerbsfähigkeit.

VC Magazin: Blick nach vorn: Welche strukturellen Veränderungen erwarten Sie für die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren – und welche Rolle wird M&A dabei spielen? Wird der Markt fragmentiert bleiben, oder steht eine Beschleunigung der Konsolidierung bevor?

Seidler: Die Bauwirtschaft steht in den kommenden Jahren vor tiefgreifenden strukturellen Veränderungen, bei denen M&A eine zentrale Rolle spielen wird. Die weiterhin hohe Fragmentierung des Marktes trifft auf eine überalterte Eigentümerstruktur, steigende regulatorische Anforderungen und wachsende Anforderungen an Professionalität und Skalierung.

Vor diesem Hintergrund ist eine deutliche Beschleunigung der Konsolidierung zu erwarten – getragen sowohl von strategischen Käufern als auch von Private-Equity-Investoren. Größere, professionell aufgestellte Plattformen werden zunehmend Marktanteile bündeln, während es für kleinere, nicht integrierte Anbieter aufgrund fehlender Skaleneffekte und Investitionsfähigkeit immer schwieriger wird, dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der Markt wird damit kurzfristig fragmentiert bleiben, mittel- bis langfristig jedoch klar konsolidierter und stärker von integrierten Gruppen geprägt sein.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Interviewpartner: 

Patrick Seidler ist erfahrener Experte im Bereich Mergers & Acquisitions (M&A) mit einem besonderen Fokus auf den Bau- und Infrastruktursektor. Seit über 15 Jahren begleitet er Unternehmen bei komplexen Transaktionen, von Unternehmensübernahmen bis hin zu strategischen Fusionen. Durch seine fundierte Branchenkenntnis und seinen strukturierten Ansatz hat er zahlreiche nationale und internationale M&A-Projekte erfolgreich zum Abschluss gebracht.