Interview mit Jenny Dreier, EQT Ventures

„Einen Unterschied zu Unternehmen aus dem Silicon Valley oder Israel sehe ich kaum noch“

„Einen Unterschied zu Unternehmen aus dem Silicon Valley oder Israel sehe ich kaum noch“ – Interview mit Jenny Dreier, EQT Ventures
„Einen Unterschied zu Unternehmen aus dem Silicon Valley oder Israel sehe ich kaum noch“ – Interview mit Jenny Dreier, EQT Ventures

Bildnachweis: EQT Ventures.

Deutsche Start-ups wecken schon seit einiger Zeit das Interesse internationaler Investoren. Neuerdings engagieren sich jedoch nicht mehr nur die Growth Capital-Fonds bei hiesigen Jungunternehmen, sondern auch zunehmend Investoren, die eher in der Frühphase aktiv sind.

VC Magazin: EQT Ventures hat aktuell acht deutsche Unternehmen im Portfolio. Wie schätzen Sie den deutschen Start-up-Markt ein?
Dreier: Bis vor ein paar Jahren war der deutsche Markt sehr stark geprägt von Start-ups aus den Feldern Marktplätze und E-Commerce. Das hat sich verändert und wir sehen mehr und mehr neue, innovativere und – ganz wichtig – technischere Start-ups. Gerade im Umfeld der Technischen Universitäten passiert sehr viel Spannendes.

VC Magazin: Thema technischere Start-ups: Wie aktiv sind deutsche Konzerne, wenn es darum geht, Innovation von außen zuzukaufen?
Dreier: Ich glaube, es gibt mittlerweile einige Beispiele, die zeigen, dass bei den Konzernen durchaus Interesse an der Übernahme von Start-ups vorhanden ist – auch wenn der Traum eines jeden Venture Capital-Investors natürlich das IPO als Exit-Kanal ist. Neben dem Kauf von Technologien ist auch zu beobachten, dass Konzerne besser darin werden, eigene Start-ups aufzubauen, und aus den doch etwas schwierigen Anfangstagen des Corporate Venturing gelernt haben. Die Connection zwischen den Konzernen und der Start-up-Szene wird daher auch immer besser.

VC Magazin: Die Corona-Krise hat Start-ups – abhängig von der jeweiligen Branche – unterschiedlich stark getroffen. Hat das auch Ihren Blick als Investor auf die verschiedenen Sektoren verändert?
Dreier: Das stimmt. Interessant ist, dass auch Unternehmen, die eigentlich stark von Corona betroffen sein müssen, wie beispielsweise Holidu aus unserem Portfolio, zum Teil besser durch die Krise kommen als erwartet. Zur Frage, ob sich der Blick auf die Sektoren verändert hat: Ich persönlich bin sehr passioniert beim Thema Bildung, und dort gibt es natürlich aktuell einige Start-ups, die einen kurzzeitigen Boom erleben. Als Investor geht es aber darum, zu erkennen, wo Disruption zu langfristigen Veränderungen führt. Bleiben wir beim Thema Bildung: Durch Corona haben Schulen verstanden, wie man Technologie einsetzt, und Teile davon werden bleiben. Auch von den vielen Lern-Apps, die während der Pandemie heruntergeladen wurden, haben einige die Chance, nun von einem anderen Level aus weiter zu wachsen. Ein weiterer Bereich, der stark von Corona profitiert hat, ist „Future of Work“: Start-ups, die es schaffen, Mitarbeiter remote effizient miteinander arbeiten zu lassen.

VC Magazin: Digitales Kennenlernen, stärkere Due Diligence, intensivere Verhandlungen beim Thema Bewertung – worauf müssen sich Gründer einstellen, wenn sie aktuell Kapital einwerben möchten?
Dreier: Beim Punkt „Verhandlung der Bewertung“ sehen wir tatsächlich keine Anzeichen, die auf eine Zurückhaltung bei der Investitionsbereitschaft hindeuten würden. Wir haben eher den Eindruck, dass man heute sehr viel schneller eine Finanzierungsrunde abschließen kann, weil beispielsweise die Reisen zu Treffen ausfallen. Dadurch, dass der Prozess so beschleunigt wird, wird auch der Wettbewerb zwischen den Investoren intensiver. Für Gründer bedeutet das auf der anderen Seite, dass der Zugang zu Kapital ein Stück weit demokratisiert worden ist, da der Vorteil von Hotspots wie Berlin mit der Vielzahl von Events nicht mehr so stark zum Tragen kommt. Ich sehe das durchaus als Chance.

VC Magazin: Wie kommen Gründer am besten mit Ihnen in Kontakt?
Dreier: Zum einen natürlich per Mail – alle unsere E-Mail-Adressen findet man auf unserer Website. Hilfreich ist, wenn man ein warmes Intro bekommt, also über gemeinsame Kontakte vorgestellt wird. Darüber hinaus nehmen wir selbstverständlich auch an digitalen Konferenzen teil und freuen uns, dort kontaktiert zu werden. Der Großteil unserer Leads kommt allerdings tatsächlich über unsere hauseigene KI Motherbrain zustande.

VC Magazin: Wie schätzen Sie das Bewertungsniveau deutscher Start-ups momentan ein?
Dreier: Wir haben im Sommer wieder einige Investments gemacht, und auch von anderen Fonds höre ich, dass nach der kurzen Zeit der Unsicherheit im März und April die Investmenttätigkeiten wieder aufgenommen wurden. Es ist viel Geld im Markt und das will angelegt werden. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass auch US-amerikanische Fonds nach Deutschland kommen und teilweise sogar schon bei Seed-Runden mitinvestieren, wird klar, wieso die Bewertungen hierzulande – zumindest bei den richtig interessanten Start-ups – weitestgehend stabil geblieben sind. Natürlich ist die ökonomische Situation heute ein gutes Stück unberechenbarer, als das vor einem Jahr noch der Fall war, was dazu führt, dass die Frage nach dem Runway, der mit einer Finanzierungsrunde geschaffen wird, intensiver behandelt wird. Den viel besprochenen Unterschied bei den Bewertungen im Vergleich zu den Unternehmen aus dem Silicon Valley oder Israel sehe ich – insbesondere in der Frühphase – eigentlich kaum noch.

VC Magazin: In der deutschen Start-up-Szene sind Gründerinnen nach wie vor in der Minderheit und haben gleichzeitig größere Schwierigkeiten, Kapital einzusammeln. Ihr Team zeichnet sich durch einen recht hohen Frauenanteil aus. Kann das in diesem Bereich ein Vorteil sein?
Dreier: Ich denke, ein diverses Team ist immer ein Vorteil, nicht nur, wenn es um Investments in Start-ups von Gründerinnen geht. Die Entscheidungsprozesse werden schlicht ausgewogener, wenn man mehrere Meinungen und Personen mit unterschiedlichen Hintergründen einbezieht. Aber natürlich: Wäre ich Gründerin, hätte ich wahrscheinlich mehr Lust darauf, beispielsweise eine Perioden-Tracking-App vor einem diversen Team denn vor einer Gruppe von zehn Männern zu pitchen. Ein vielfältiges Team ist heute kein Nice-to-have mehr, sondern eine absolute Notwendigkeit für jede Organisation und jeden Venture Capital-Investor. Einer der Gründe – wenn auch nicht der einzige –, wieso wir in Deutschland so wenig Gründerinnen haben, ist sicherlich, dass die Venture Capital-Szene so männlich dominiert ist und damit die Vorbilder, Sparringspartner und Netzwerke fehlen.

VC Magazin: Frau Dreier, vielen Dank für das Gespräch.

Jenny Dreier ist Teil des Berliner Investmentteams von EQT Ventures, einem 660-Mio.-EUR-Venture Capital-Fonds mit Wurzeln in Schweden. Vor ihrer Zeit im Venture Capital hat sie Erfahrung in Start-ups in São Paulo sowie Berlin gesammelt und an einer eigenen Gründung im Edtech Space gearbeitet. Drei Jahre lang hat Dreier außerdem bei McKinsey & Company an Innovationsthemen gearbeitet und Konzerne beim Aufbau von Start-ups unterstützt.