
Bildnachweis: Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, REIA, Palladion, Universität der Bundeswehr München, VC Magazin.
Die Verteidigungsindustrie erlebt derzeit eine beispiellose Investitionswelle – vor allem im Technologiesegment. Defencetech-Start-ups haben im Jahr 2024 weltweit fast 3 Mrd. USD an Wagniskapital eingesammelt. Damit wird der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2022 (2,6 Mrd. USD) deutlich übertroffen. Das zeigt eine aktuelle Auswertung von Crunchbase. Auffällig: Während die absolute Zahl der Finanzierungsrunden rückläufig ist – von 113 auf 85 –, ist das durchschnittliche Investitionsvolumen je Deal gestiegen.
Besonders große Runden, etwa bei Anduril oder dem autonomen Schiffshersteller Saronic Technologies, prägen das Bild. Insbesondere in den USA profitieren Start-ups von einer neuen politischen Offenheit für militärische Technologien. In Washington wird die Defencetech-Branche zunehmend als Bestandteil strategischer Industriesouveränität betrachtet. Experten erwarten, dass die neue US-Regierung ihre Innovationspolitik weiter in Richtung Verteidigungstechnologie ausrichtet – mit direktem Nutzen für Jungunternehmen in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Überwachung, KI und autonome Systeme.

Aufbruchstimmung in Europa – Und erste deutsche Erfolge
Auch Europa zieht nach. Das Münchner Start-up Helsing, spezialisiert auf KI-basierte Aufklärungs- und Waffensysteme, konnte 2024 annähernd 500 Mio. USD von Investoren einwerben. Damit zählt es zu den höchstbewerteten Defencetech-Start-ups weltweit. Helsing gilt als Vorreiter für eine neue europäische Sicherheitskultur, die technologische Souveränität nicht länger als rein zivile Aufgabe versteht. Auch andere europäische Investmentplayer betreten die Bühne: Das ukrainische D3 Venture Capital, das britische Twin Track Ventures und das litauische ScaleWolf investieren gezielt in junge Verteidigungstechnologien – mit Fokus auf Dual Use-Fähigkeiten, also Technologien mit ziviler und militärischer Anwendung.
Deutschland: Verteidigungsfähigkeiten und Innovationspotenziale
In Deutschland ist die Diskussion über Defencetech mit besonderer Vorsicht behaftet. Zwar betont die Politik seit Beginn des Ukrainekriegs die Notwendigkeit einer „Zeitenwende“, doch aus Sicht vieler Gründer bleibt diese Ankündigung bisher eher symbolisch. Eine Umfrage der Bitkom-Initiative Get Started unter 44 Gründerinnen und Gründern im Bereich Verteidigungstechnologie zeigt: Nur 39% würden ihr Unternehmen erneut in Deutschland gründen. Ganze 59% würden einen anderen Standort bevorzugen – allen voran die USA. Zu den Gründen zählen hohe regulatorische Hürden, mangelnde Planbarkeit bei staatlichen Aufträgen und kulturelle Vorbehalte gegenüber militärischen Anwendungen. Ein signifikanter Teil der Gründer wünscht sich mehr politische Klarheit, Verlässlichkeit bei Ausschreibungen und eine Entstigmatisierung der Branche.
Start-ups im Aufwind: Helsing, Quantum Systems und Stark Defence
Trotz struktureller Hindernisse hat sich in Deutschland eine erste Generation erfolgreicher Defencetech-Gründer etabliert. Dazu zählt etwa Quantum Systems aus Oberpfaffenhofen, spezialisiert auf hochpräzise Überwachungsdrohnen. Das Unternehmen erhielt in mehreren Finanzierungsrunden rund 120 Mio. EUR, unter anderem von Thiel Capital, Airbus Ventures und Project A. Die Drohnen von Quantum Systems werden bereits in der Ukraine eingesetzt, auch die US-Armee zählt zu den Kunden. Brancheninsider halten eine Unicorn-Bewertung für realistisch. Hinweise auf einen bevorstehenden Börsengang mehren sich, nicht zuletzt durch den Einstieg der erfahrenen Rüstungsmanagerin Susanne Wiegand in den Aufsichtsrat. Ein weiteres Beispiel ist das junge Unternehmen Stark Defence, das im Frühjahr 2025 erstmals mit einem eigenen Produkt an die Öffentlichkeit trat. Die neu vorgestellte Kampfdrohne OWE-V wurde speziell für hochmobile Einsätze entwickelt und soll nach Angaben von CEO Philip Lockwood, ehemals NATO-Innovationschef, eine entscheidende Rolle in der Modernisierung westlicher Streitkräfte spielen. Stark Defence ist Teil der neu gegründeten UXS Alliance, eines Verbunds deutscher Drohnen- und Robotikhersteller, zu dem auch Quantum Systems und ARX Robotics gehören.
ARX Robotics: Dual Use mit militärischer Herkunft
Das Münchner Start-up ARX Robotics verfolgt ein konsequentes Dual Use-Modell. Die modularen Roboter der GEREON-Serie können sowohl zivilen Rettungskräften als auch Streitkräften dienen. CEO Marc Wietfeld, aktiver Bundeswehroffizier, entwickelte die Idee aus persönlichen Einsatzerfahrungen heraus. „Unsere Plattform soll helfen, Menschenleben zu retten – auf dem Schlachtfeld wie im Katastrophenschutz“, sagt er. Mitgründer Stefan Röbel bringt Erfahrung aus der Digitalwirtschaft mit. Finanziert wird ARX durch eine Pre-Seed-Runde über 1,15 Mio. EUR von Project A Ventures. Die Gründer hoffen auf Weiteres. „Es braucht mehr als Geld“, betont Wietfeld. „Wir brauchen regulatorische Klarheit, Zugang zu Übungsgeländen und politische Verlässlichkeit.“
Finanzierung: Neue Offenheit, aber auch neue Grauzonen
Die wachsende Bedeutung von Verteidigungstechnologie bringt auch den Investmentmarkt in Bewegung. Thomas Weinmann, CEO der Dachfondsgesellschaft REIA Capital, beobachtet eine veränderte Haltung gegenüber ESG-Kriterien: „Früher galt Rüstung als Tabu. Heute sehen viele Investoren die Relevanz solcher Technologien für die strategische Sicherheit.“ Dennoch bleibe das Thema heikel – besonders für Fonds mit kirchlichen oder gemeinnützigen Investoren. Während große Private Equity-Fonds in klassische Hersteller investieren, bevorzugen kleinere Venture Capital-Fonds spezialisierte Nischenthemen wie Cybersecurity, KI-gestützte Aufklärung oder Software-defined Defence. Für Weinmann ist klar: Das größte Potenzial liegt aktuell im frühphasigen Venture-Segment. Relevante Märkte seien weniger klassische Waffen, sondern Technologien zur Zielerkennung, Kommunikation, Steuerung, Navigationssysteme oder Abwehrmechanismen. Gleichzeitig weist er auf ein entscheidendes Problem hin: Staaten behalten bei vielen Defencetech-Firmen ein Vetorecht beim Verkauf, was Exit-Möglichkeiten erschwert und Risiken erhöht.
Acceleratoren und Plattformen: Hilfe beim Markteintritt
Staatliche Programme versuchen, den schwierigen Marktzugang zu erleichtern. Beispielhaft ist der Palladion Defence Accelerator an der Universität der Bundeswehr München. Finanziert vom Verteidigungsministerium, ist er Teil des NATO-Innovationsnetzwerks DIANA. Ziel ist es, Deeptech-Start-ups schneller für militärische Anforderungen fit zu machen. „Neben Coaching und Netzwerken erhalten Gründer Zugang zu Verteidigungsexperten und Testumgebungen. Dabei wird sowohl die Technologie selbst und deren Use Case als auch die Finanzierungsstrategie evaluiert und weiter entwickelt“, erklärt Christian Hösle, Managing Director des Accelerators Palladion. Ergänzt wird die Initiative durch die neue Innovationsplattform Drohnentechnologie und Robotik, initiiert vom TechHub SVI der Bayern Innovativ GmbH. Sie vernetzt Start-ups, Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen entlang der gesamten Innovationskette – von der ersten Idee über die Prototypenentwicklung bis zur Serienreife. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Geralt Siebert, Vizepräsident für Forschung, Innovation und nachhaltige Entwicklung der Universität der Bundeswehr München, hat festgestellt, dass mehr Forschende das Feld Dual Use/Defence für sich entdecken, begründet in der geänderten politischen Lage, sicherlich aber auch in den angenommenen Geldtöpfen: „Um dieselben Aufträge bewerben sich mehr Forscherinnen und Forscher. Konkret bekommen wir tatsächlich mehr Anfragen von potenziellen Forschungspartnern, die auch mitmachen wollen, aber auch von Firmen, die sich ein für sie neues Geschäftsfeld erschließen wollen. Und die bestehenden Partnerschaften leben gut weiter.
Rahmenbedingungen und politische Signale: Noch viel Luft nach oben
Trotz wachsender Aufmerksamkeit für junge Defencetech-Unternehmen bleibt die Kritik an der politischen und regulatorischen Realität in Deutschland deutlich. Dr. Hans Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), spricht von einem „hohen Maß an Unsicherheit“, das Start-ups im Verteidigungssektor massiv hemme. Die wiederkehrenden Haushaltsdebatten, insbesondere um den Bundeswehretat 2025, bezeichnet er als „Mangelverwaltung“. Junge Unternehmen, die langfristige Entwicklungszyklen durchlaufen, bräuchten klare Bedarfsdefinitionen, verbindliche Zeitpläne und eine realistische Perspektive auf tatsächliche Auftragsvolumina. Gleichzeitig sei der Zugang zu sicherheitsrelevanten Ausschreibungen für junge Firmen vielfach nicht praktikabel. Komplexe Vergabeverfahren, das öffentliche Preisrecht und fehlende Transparenz erschwerten es insbesondere Start-ups, sich gegenüber etablierten Systemhäusern zu behaupten. Auch das notwendige Wissen über Klassifizierungen, Geheimschutz und Rüstungszulassungen fehle vielen Gründern. „Wenn wir technologisch souverän sein wollen, müssen wir auch systemisch ermöglichen, dass Innovation überhaupt in den Markt gelangt“, so Atzpodien.
Regulierungshürde Europäische Union
Besonders kritisch bewertet er die Rolle der Europäischen Union bei der Regulierung. Viele bürokratische Hürden, etwa im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes oder der Entwaldungsverordnung, träfen gerade kleine und junge Unternehmen im Verteidigungsbereich überproportional stark. In Kombination mit der ESG-Sensibilität vieler europäischer Finanzinstitute entstehe so eine „systemische Investitionsbremse“ für sicherheitsrelevante Technologien. „Wenn EU-Investoren sich aus Reputationsgründen zurückhalten, springen außereuropäische Geldgeber ein. Das bedeutet: Technologien wandern ab“, warnt Atzpodien. Dies sei weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch verantwortbar. Er fordert deshalb ein industriepolitisches Umdenken, das Defencetech explizit als strategisch wichtigen Innovationsbereich definiert – und entsprechend behandelt. Nicht zuletzt brauche es auch ein gesellschaftliches Umdenken. In Deutschland werde der Verteidigungssektor – anders als in vielen NATO-Staaten – nach wie vor mit Skepsis betrachtet. Dies wirke sich negativ auf die Gründungsdynamik und den Zugang zu Talenten aus. „Wer Technologie für den Schutz demokratischer Gesellschaften entwickelt, verdient Unterstützung, nicht Stigmatisierung“, so Atzpodien.