„Wir wollen Göttingen als echten Gründungsstandort für Life Sciences etablieren“

Neujahrsgespräch mit Irina Reimer, Life Science Factory

Neujahrsgespräch mit Irina Reimer, Life Science Factory

Bildnachweis: © VentureCapital Magazin/Life Science Factory.

Nach zwei Jahren Pandemie ist der Beginn dieses neuen Jahres gleichzeitig auch mit viel Hoffnung verbunden, dass eine Wende hin zu endemischen Lage kommt und sich die Situation stabilisiert. Welchen Einfluss Covid-19 auf das Start-up- und Venture Capital-Ökosystem hatte, welche Erwartungen 2022 mit sich bringt und wie das bisherige Resümee aussieht, berichten Persönlichkeiten aus der deutschen Venture Capital- und Private Equity-Szene in der Reihe „Neujahrsgespräche“.

VC Magazin: Life Sciences sind bedingt durch die Coronapandemie noch stärker in den Fokus gerückt. Wie nehmen Sie diesen Boost wahr?
Reimer: Die Pandemie hat gezeigt, dass Biotechnologie Antworten auf große Fragen der Menschheit geben kann und natürlich haben vor allem die Leuchttürme der Branche, wie BioNTech, weltweit für Sichtbarkeit gesorgt. Doch die deutsche Biotechnologie ist extrem leistungsfähig und verdient auch abseits der Pandemie weiterhin erheblich mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Leider wird sie bisher immer noch als Orchideen-Branche wahrgenommen – gerade im Hinblick auf Gründungen, Förderungen und öffentliche Aufmerksamkeit. Förderungen müssen über die Universitäten und Frühphasenunterstützung hinausgehen, doch leider gibt es hierzulande kaum Fördermöglichkeiten für diese spätere Entwicklungsphase – im Gegensatz zum Ausland – und wenn, dann mit vielen bürokratischen Hürden. Das bremst die Anzahl der Gründungen enorm aus.

VC Magazin: Der Life Science Inkubator unterstützt Bio- und Medtech-Start-ups am Standort Göttingen. Wie viele Start-ups betreuen Sie aktuell und wie unterstützen Sie die Gründerinnen und Gründer?
Reimer: Gründerinnen und Gründer, die ihren Weg ausserhalb der akademischer Institutionen gehen wollen, brauchen wie gesagt mehr Förderungen, Gründungs- und Wachstumskapital, aber vor allem auch geeignete Räume, Labore und ein leistungsfähiges Netzwerk. Das bieten wir nun quasi aus einer Hand. Start-ups finden bei uns alles, was für einen schnellen Start notwendig ist: Austausch, Ausstattung, Einrichtung und Medienzugang. Auf einer Fläche von 3.300 m² stehen Start-ups modernste S1- und auf Wunsch S2-Labore, eine Prototyping-Werkstatt sowie Büro-, Veranstaltungs- und Community-Räumlichkeiten und Geräteräume für Zentrifugen oder Bioreaktoren zur Verfügung. Größe und Ausstattung der Labore werden flexibel und modular auf die jeweiligen Bedürfnisse der Mieter*innen anpassbar sein. Das ermöglicht einen direkten Start – meist innerhalb von nur 24 Stunden. Bei uns profitieren Forschende und Gründende unter anderem auch davon, dass sie sich um bau- oder sicherheitsrechtliche Vorgaben nicht selbständig Gedanken machen müssen. Und vor allem gibt es ein umfassendes Mentoring- und Rahmenprogramm für Gründer*innen, das ebenfalls sehr gut ankommt, sodass wir bereits vor Eröffnung mehr als 60 Life Science Teams auf bedarfsgerechte Weise betreuen.

VC Magazin: Sie eröffnen am 19. Januar Ihren neuen Standort. Was hat Sie dazu bewegt und welche Veränderungen bringt der neue Ort mit sich?
Reimer: Wir wollen Göttingen über die rein wissenschaftliche Expertise hinaus als echten
Gründungsstandort für Life Sciences und als Cluster in diesem Bereich etablieren und
anwendungsnahe Forschung in den Lebenswissenschaften fördern. Denn wir sind davon überzeugt, dass Kollaboration und interdisziplinärer Austausch mit die wichtigsten Grundlagen für zukunfts- und marktfähige Entwicklungen schaffen. Daher sollen die zukünftigen Mieter*innen von der Community vor Ort profitieren. Das heißt konkret die
Community in der Life Science Factory aber auch die der benachbarten Institutionen wie der Universität Göttingen sowie der Max-Planck-Institute und der Fraunhofer-Gesellschaft, zu denen wir engen Kontakt haben.

VC Magazin: Die Pandemie schränkt Events weiterhin ein. Wie wird Ihre Eröffnungsfeier ablaufen und wie kann man teilnehmen?
Reimer: Wir haben uns aufgrund der aktuellen Situation dazu entschlossen, aus unserer
Eröffnungswoche ein Eröffnungsjahr werden zu lassen und das ganze Jahr über Formate zu
bieten, um die Vision und Möglichkeiten der Life Science Factory kennenzulernen. Wir starten am 19. Januar 2022 mit einem digitalen „Soft Opening”. Das „Grand Opening” inkl.
Eröffnungsfeier findet am 27. April statt. Ein weiteres Highlight wird unser Vertical auf der
Bits & Pretzels im September sein. Beim digitalen Programm am 19. Januar können Zuschauer*innen ein spannendes Eröffnungsprogramm in Kombination mit dem 3. Life Science Start-up Day und einer virtuellen Tour durch die Life Science Factory erwarten. Der Life Science Start-up Day ist eine Konferenz für Gründer*innen, Gründungsinteressierte und Wissenschaftler*innen. Alle Informationen und Möglichkeit sich für die kostenlose Veranstaltung anzumelden, ist über die Website möglich: www.lifescience-startupday.com

VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie für die Life Sciences in den kommenden Jahren?
Reimer: Die Innovationskraft der Unternehmen gerade für neue Lösungen zur Pandemiebekämpfung war und ist enorm, die Finanzierungszahlen stiegen und auch die Politik hat sich aktiv in die Entwicklungen eingeschalten. Ich bin mir sicher, dass sich hier in den nächsten Jahren noch vieles bewegen wird und freue mich umso mehr, dass wir einen Teil dazu beitragen können, um aus dem aktuellen BioTech-Boom eine lang anhaltende und nachhaltige Erfolgsgeschichte für Deutschland wahr werden zu lassen.

Zur Interviewpartnerin:
Irina Reimer ist seit 2019 als erste Mitarbeiterin bei der Life Science Factory, zunächst für
den Aufbau im Community- und Operations-Bereich und seit Anfang 2021 als Program
Director für die Ausgestaltung der Programmatik der Life Science Factory verantwortlich.